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1 La Paz

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La Paz Gemeinden deutscher ZuwanderungKurzeinführungen zu...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Interviews1- Erich Bauer Wildgrube...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12

2-Bernhard Friedrich Christian Elsner...... . . . . . . . . . .22

3- Ludwig Ernst...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30

4- August Ludolf Gerke...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36

5- Wilhelm Bernhard Kyllmann Afinger...... . . . . . . . . .40

6- Ernst Schilling...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .50

7 - Gerhard Zimmermann, Menno Smid Zimmermann..56

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SouthPacificOcean

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Paraguay

Chile

Argentina

Peru

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Toquepala

Tacna

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Iquique

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Tocopilla

Mejillones

Antofagasta

Ilo

Putre

Guaqui

Guajar·-MirimJi-Parana

SantaAna

Santa Rosadel SaraChimore

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CamiriGeneralEugenio A. Garay

CapitanPablo Lagerenza

MariscalEstigarribia

San Salvadorde Jujuy

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Caceres

PuertoSuarez Corumba

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San Ramon de laNueva Oran

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OruroSanta Cruz

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Politische Karte Bolivien

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11910 zählte Bolivien 2.270,000 Einwohner mit dem Regierungssitz La Paz, in der 78,856 Menschen lebten. Das direkte Umland von La Paz auf dem Altiplano, heute dicht besiedelt, war eine ländliche Gegend und wurde erst 1970 per Dekret zur eigenständigen Gemeinde El Alto deklariert. Vergleichszahlen aus dem INE Zensus von 2012 geben für die Doppelstadt

heutigen Department Pando, gegliedert war (Santibañez, S. 37). Die Bevölkerung Boliviens setzte sich nach Santibañez wie folgt zusammen: “658.000 Weiße spanischer Abstammung; 614.000 Mestizen; 725.000 Indios; 3.000 Neger; 10.450 Ausländer, wovon die Hälfte Peruaner, Chilenen und Argentinier sind.“ Das Territorium umfasste damals noch 1.568.241 Quadratkilometer. Bolivien war somit nach Brasilien, Argentinien, Mexico und Peru das fünftgrößte der 20 Länder Lateinamerikas (Santibañez, S. 56): Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sprach man von Bolivien als ein großes Land mit wirtschaftlicher Zukunft, da die umfangreichen Erzvorkommen ebenso wie die Existenz begehrter Naturprodukte wie Chinarinde und Naturkautschuk bekannt waren und ausgebeutet wurden.

Gemeinden deutscher Zuwanderung

Einsammeln der Kautschukmilch

La Paz 764,617 und El Alto 848,840 Einwohner an.1 Die Republik Bolivien war immer ein Einheitsstaat, der um 1900 in acht Departments und einem sogenannten „nationalen Territorium“, dem

1 Statistische Angaben für Cochabamba, Santa Cruz und Tarija konnte ich leider für die Epoche um die Jahrhundertwende nicht finden, da das Statistische Amt in Bolivien (Instituto Nacional de Estatística, INE) erst im Jahre 1936 eingerichtet wurde und seine Arbeit aufnahm. Alle Bevölkerungsangaben aus früheren Epochen beruhen auf Schätzungen oder sind Zitate.

Die vier Gemeinden Boliviens, in denen meine Interviewpartner heute leben, sind Gründungen der frühen Kolonialzeit: Cochabamba 1571, La Paz 1548, Santa Cruz de la Sierra 1556 umgesiedelt an seinen heutigen Standort 1601 und Tarija 1574. Diese Orte waren bereits in der Kolonialzeit für ihr günstiges Klima und die fruchtbaren Täler bekannt und so wundert es nicht, dass auch deutsche Siedler in diese Gemeinden zogen. Oftmals jedoch erst nachdem sie die ersten Jahre im bolivianischen Hochland oder im Amazonasgebiet verbracht hatten, da dies die Standorte der wirtschaftlichen Aktivitäten waren.

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LLa Paz wurde in der frühen spanischen Kolonialzeit im Jahre 1548 gegründet. Die günstige geografische Lage in diesem windgeschützten Talkessel auf ungefähr 3600 müMN mildert das kalte Hochlandklima ab. In vorspanischer Zeit befand sich an diesem Ort die indigene Ansiedlung Churubamba, das heutige Stadtviertel San Sebastian. Zudem kreuzten sich hier schon seit Jahrhunderten wichtige Handelswege in dieser bereits bei Ankunft der Spanier von Aymaras besiedelten Region: Produkte der tropischen Yungas wie Obst, Gemüse und Coca gelangten aus dem Amazonasgebiet über La Paz in das Altiplano. Von hier wurden in der Kolonialzeit vor allem Cocablätter weiter nach Potosí transportiert, um die Bergarbeiter der Silberminen mit den stärkenden „heiligen Blättern“ zu versorgen. Das gewonnene Silber wurde im Gegensatz hierzu aus Potosí über La Paz an die peruanische Küste nach Callao und dann in Richtung Spanien verschifft. Wichtige Kolonialstädte wie Potosí, Arequipa, Cusco (die beiden letzteren Städte liegen im heutigen Peru) waren durch ein Wegenetz mit La Paz verbunden. In den Flussläufen, die das Tal von La Paz durchziehen, wurde zudem Gold gewonnen.

1899 wurde La Paz zum Regierungssitz bestimmt, da sie als einzige größere Stadt nicht vom wirtschaftlichen Niedergang Potosís betroffen war. Sucre blieb formaljuristisch Landeshauptstadt und Sitz des Obersten Gerichtshofes. Vor 1900

La PazPANDO

BENI

COCHABAMBA

ORURO

CHUQUISACA

POTOSI

TARIJA

LA PAZ

SANTACRUZLa Paz

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Panorama vom Kirchturm der Kathedrale in La Paz um 1915

Foto: Fundación Cultural Rodolfo Torrico Zamudio

siedelten in La Paz ungefähr 31.000 Einwohner. Durch die Verlagerung des Regierungssitzes und der Verwaltung nach La Paz wuchs die Stadtbevölkerung rasch an. Bis 1902 verdoppelte sich ihre Zahl. Auch auf die Wirtschaft wirkte sich der neue Sitz von Regierung und Verwaltung positiv aus, so dass es lukrativ war, ein Unternehmen in La Paz zu besitzen. Manufakturwesen, Handelshäuser und Banken entwickelten sich. Die Stadt fungierte verstärkt als Verkehrsknotenpunkt zwischen Hochland und Tiefland durch den beginnenden Ausbau des Eisenbahnwesens. Eisenbahnlinien verbanden La Paz mit den Bergbauzentren und den Häfen von Arica und Antofagasta in Chile. Für den innerstädtischen Personenverkehr wurde zwischen 1900 und 1915 die Neuerung einer Straßenbahn eingeführt.

Calle Comercio Ecke Ayacucho

Foto: Fundación Cultural Rodolfo Torrico Zamudio

Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurden große Stadthäuser im „fachadista“ Stil modernisiert, d.h. mit neuen zeitgemäßen Fassaden versehen, der Prado wurde als Promenade ausgebaut und Parkanlagen wurden angelegt, um das Stadtzentrum zu verschönern. La Paz wuchs weiter und bis 1948 konzentrierte sich hier 75 % der industriellen Produktion Boliviens.

Diese positive Wirtschaftsentwicklung zog auch deutsche Einwanderer an. Ihnen gelang es, am

Wirtschaftsaufschwung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert teilzuhaben. Sie gründeten Betriebe, die bis heute mit ihren Zentralen in La Paz bestehen und zum Teil im ganzen Lande operieren (siehe Interviews Elsner, Ernst, Kyllmann & Bauer, Schilling und Zimmermann). In diese Zeit fällt auch die Gründung der Bierbrauerei „Cervecería Nacional“, welche 1886 von vier Deutschstämmigen (Friedrich Groenewald, Hugo Preuss, Eugen Strohmann und Ludwig Ernst, siehe Interview) gegründet wurde und sich zum größten Unternehmen Boliviens mit Produktionsanlagen in La Paz, El Alto, Santa Cruz, Cochabamba, Oruro und Tarija entwickelt hat.

Die Nachfahren der deutschen Einwanderer haben sich gut eingelebt. Zwar bestehen noch - wie schon erwähnt - verschiedene Einrichtungen deutschen Ursprungs in La Paz, aber der große Teil der Nachfahren deutscher Einwanderer ist der deutschen Sprache nicht mehr mächtig. Die beiden deutschsprachigen Kirchengemeinden haben nur noch wenig Zulauf im Gegensatz zum Deutschen Club und zur Deutschen Schule, die viel frequentierte Institutionen geworden sind. Ihre Dienstleistungen werden zunehmend von Bolivianern in Anspruch genommen.

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Bierbrauerei CBN Cervecería Boliviana Nacional - Anlage La Paz um 1900

Deutsche Schule La Paz

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Interviews

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Interviews Interviews

Erich Bauer Wildgrube

Bernhard Friedrich Christian Elsner

Ludwig Ernst

August Ludolf Gerke

Wilhelm Bernhard Kyllmann Afinger

Ernst Schilling

Gerhard Zimmermann, Menno Smid Zimmermann

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ErichInte

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Erich Bauer WildgrubeGeboren in Berlin am 16. April 1886

Gestorben in Cochabamba am 7. April 1965

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Die Auswanderung nach Chile

Mein Großvater Erich wurde in Berlin geboren. Sein Vater starb kurz nach der Geburt. So wuchs er auf in einem Frauenhaushalt auf und wurde im I. Weltkrieg nicht eingezogen, da er das einzige männliche Familienmitglied war. Seine Mama, aus gutbürgerlichem Haus, zwei ältere und eine jüngere Schwester bildeten die Kernfamilie.

Salpeter Mine im Norden Chiles zu arbeiten. So kam er im Jahre 1918 nach Lateinamerika. Viel habe ich über diese Lebensphase meines Großvaters nicht erfahren. Er erzählte nur, dass er in den ersten Jahren viel reiste. Meist auf dem Rücken von Maultieren. So ging es kreuz und quer durch Chile, er schlief in einfachen Lagern und er lernte das Leben auf dem Lande kennen. Und er lernte die spanische Sprache, die er gut aber mit einem deutschen Akzent bis an sein Lebensende beherrschte.

Ankunft und erste Jahre in Bolivien

So kam er in diesem zwei oder drei Jahren der Wanderschaft auch in den Norden von Chile. Dort erfuhr er, dass jenseits der Grenze in Bolivien viel Geld in der Zinngewinnung zu machen sei. Er war flexibel, wechselte das Land und fand Arbeit in seinem Fach bei dem baskischen Bergbauunternehmer Cupertino Ortuño, Anteileigner der Mine Morococala in Oruro. Großvater lebte in der Stadt Oruro. Er hatte sich auf die Erkundung und Erschließung neuer Lagerstätten spezialisiert. Seine Arbeitswerkzeuge wie z. B. den Kompass, den ich noch besitze, und vieles mehr hatte er immer griffbereit zuhause. Er war sehr gut mit den modernsten Werkzeugen seiner Zeit ausgerüstet!

Erich mit Mutter und seinen drei Schwestern Mutter Bauer – eine Frau aus dem bürgerlichen

Milieu der Stadt Berlin Erich Bauer im Smoking 1911

Unterwegs per Pferd und Theodolit – Pionier im

Niemandsland

Großvater studierte in Heidelberg und schloss das Studium als Bergbauingenieur ab. Deutschland befand sich zu dieser Zeit im I. Weltkrieg und es war schwierig, eine qualifizierte Arbeit zu finden. Da ein chilenisches Bergbauunternehmen in Deutschland Fachkräfte suchte, verpflichtete er sich, in einer

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Großvater war ein Mensch, der sich ganz seiner Arbeit widmete. Er war ein fröhlicher Mensch, ein guter Tänzer, nie todernst oder humorlos. Er war witzig, also gar nicht der ernsthafte „trockene“ Deutsche, wie man sich ihn stereotyp vorstellt. Er konnte das Leben genießen. Er reiste viel, arbeitete hart. Das Leben in Oruros gefiel ihm vom ersten Moment an: Es gab eine zahlenmäßig große deutsche Kolonie, das soziale Leben war reichhaltig und abwechslungsreich und man feierte gern. Seinen Junggesellenabschied organisierte er im „Club Social“ auf die elegante französische Art mit Champagner der Marke „Pommery & Cremo“, deutschem Weißwein der Marke „Liebfrauenmilch“, kubanischen Zigarren der Marke „Partagas“, Trüffeln aus Frankreich, Poulet a la Normandie, Petit Chautebriand, live Musik....es fehlte an nichts! Das Leben war sehr europäisch geprägt und komfortabel. Das gefiel ihm gut.

Er hatte zwar nicht viel Freizeit aber genug Zeit, um die Tochter seines Firmenchefs kennenzulernen, so gut, dass sie die Frau seines Lebens wurde. Sie, Franziska, „Panchita“ genannt, aus der High Society von Oruro war 22 Jahre jung, er 38 Jahre alt. Im Jahre 1924 wurde geheiratet.

Einladungsliste, Musik und Speisenfolge an-

lässlich des Junggesellenabschieds

Hutschenreuter Goldrand,

unser Familienservice in Oruro

Hochzeitpaar Bauer

Meine Großmutter war zwar in Oruro geboren, hatte aber ihre Schulausbildung in Buenos Aires erhalten, spielte Geige und war begütert.

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Sie entstammte einer alteingesessenen Bergbaufamilie englischen Ursprungs. Ihre Mutter Maria Archer Soria Galvarro gehörte zu den reichsten Familien der Stadt. Selbst eine Straße wurde in Oruro nach den Soria Galvarro benannt.

die sich voll nach ihrem Mann ausrichtete. Sie führten zu dieser Zeit ein ungemein bequemes, angenehmes Leben.

Oruro und Umzug nach La Paz

Meine Großeltern wohnten im Stadtzentrum in der „Calle Washington“ in einem eleganten Wohnhaus. Großvater Erich arbeitete weiter im Bergbau, aber er hatte sich selbstständig gemacht, seine eigenen Minen erworben.

Als der Zinnpreis sank und sich die politische Situation in Bolivien verschlechterte, sahen sie sich gezwungen, umzuziehen. Ich weiß nicht genau, wann sie nach La Paz zogen. Ein weiterer Grund für den Umzug war auch, dass meine Großeltern für ihre beiden Kinder eine bessere Sekundarschulausbildung suchten: Diese gab es auf der Deutschen Schule in La Paz. Vorher hatten sie beide Kinder schon auf Internate geschickt: Meine Mutter auf das „Colegio Irlandés Católico“ in Cochabamba und meinen Onkel auf das britische Internat „St. George´s

Minenanlage im kargen Hochland

Abtransport des Minerals

1. Mai Feier in der Deutschen Schule La Paz

Sie bezogen im Stadtzentrum von Oruro ein großräumiges Haus und bekamen hier ihre beiden Kinder: Meine Mama Addy 1925 und meinen Onkel Erich 1930. Das Haus war mit persischen Teppichen, Gardinen aus Buenos Aires und allem Luxus der damaligen Zeit ausgestattet. Das Essen wurde auf weißem Porzellan mit breitem Goldrand von der Firma Hutschenreuther aus Deutschland serviert.

Meine Großeltern besaßen unglaubliche Kristallleuchter und klassische Möbel, alles aus Europa importiert. Das Haus war geschmackvoll eingerichtet. Das Leben gestaltete sich äußerst einfach. Großvater war glücklich. Meine Großmutter gehörte der Frauengeneration an,

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College“ in Buenos Aires. Meine Großmutter schätzte die britische Bildung! Zuhause wurde aber Deutsch und Spanisch abwechseln gesprochen. Mit meinem Großvater sprachen wir Enkelkinder nur Deutsch, ebenso sprach unsere Mutter nur Deutsch mit uns. Auch Großmutter beherrschte die deutsche Sprache recht gut, nur gefiel meinem Großvater ihr spanischer Akzent nicht. Den fand er furchtbar. So wurde sowohl die erste wie die zweite Generation Bauer in Bolivien zweisprachig erzogen.

Kriegsjahre und Nachkriegszeit

Großvater fühlte sich sehr mit Deutschland verbunden. Jeden Abend hörte er deutsche Nachrichten mit seinem Grundig-Radio, einem Weltempfänger. Er lauschte den Reden von Hitler und glaubte an das Deutsche Reich. Der Frieden von Versailles, der Demütigung Deutschlands

nach dem I. Weltkrieg und den darauf folgenden schweren Nachkriegszeiten, trug dazu bei, dass die deutsche Kolonie in Bolivien sich mit dem wieder erstarkendem Hitlerdeutschland identifizierte und solidarisierte. Alle Deutschen taten das zur damaligen Zeit. Oft hörte man die Radioübertragungen gemeinsam im Deutschen Club.

Nach Kriegsende, als die grausamen Wahrheiten über das Naziregime auch in Bolivien bekannt wurden, verfiel mein Großvater in eine Depression. Zudem starb gegen Kriegende seine Mutter in Berlin. Seine Schwestern überlebten den Krieg. Er weinte viel. Daran kann ich mich noch gut erinnern, denn ich lebte in dieser Zeit bei meinen Großeltern.

Meine Mutter hatte sich 1945 mit einem Militär der bolivianischen Luftwaffe verheiratet, 1946 wurde ich geboren. Ab 1948 herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände in Bolivien, die bis bis zum 9. April 1952 andauerten. Meine Eltern flüchteten vor den politischen Verfolgungen 1948 ins argentinische Exil und ich blieb bis zu ihrer Rückkehr 1952 bei meinen Großeltern. Mit dem Sieg des Movimiento Nacionalista Revolucionario (MNR) und der Präsidentschaft von Victor Paz Estenssoro begann die erste und einzige Revolution Boliviens.

Aber noch einmal zurück zu den Auswirkungen des II. Weltkriegs auf unser Familienleben. Meinen Großvater belastete es sehr, dass seine Schwestern nach Kriegsende durch die Teilung Berlins 1945 im Ostteil der Stadt eingeschlossen waren. Er versuchte, sie da rauszuholen. Sie hatten ihn schon einmal in Oruro besucht, aber der Ort gefiel ihnen gar nicht. Erst jetzt wollten sie nach Südamerika. Er setzte sich dafür ein, dass sie aus der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ausreisen durften. Sie lebten später in Chile, wo sie auch verstarben. Ich hatte 1970 noch das Glück mit der jüngsten der drei Schwestern eine Zeit in Santiago zu verbringen.

Erich Bauer zusammen mit Joaquin Bauer, Bernardo Elsner, Walter Flossbach, Walter Schulz, Willy Decker, Ewald Hubert, Gustavo Hubert, Erich Schulz, Herr Rudolf, Fritz Kübler und anderen anlässlich einer NSDAP Veranstaltung in La Paz. Erich mit schwarzem Trauerflor am Revier anlässlich des Todes seiner Mutter.

St. George´s College in Buenos Aires

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Alltagsleben

Großvater ging jeden Tag zur Arbeit, aber ich weiß nicht wohin und was er genau tat. Er kaufte und verkaufte Immobilien, baute Häuser und verkaufte sie. Er unternahm viel in seinem Leben und er tat es mit Erfolg. Meine Großmutter war Hausfrau. Wir lebten in der Avenida Arce in einem der ersten Apartmenthäuser. Klassische Musik erfreute sie weiterhin. Meine Großmutter spielte auf ihrer Geige und beide liebten es, am Abend klassischer Musik zu lauschen. Diesen Wohlstand und dieses Wohlergehen wie in den Tagen in Oruro gab es nicht mehr. Die politische und wirtschaftliche Situation in Bolivien hatte sich verschlechtert. Die politischen Verfolgungen, die Krise im Nachkriegsdeutschland – das alles belastete meine Großeltern sehr.

hartgekochte Eier, eingelegte saure Gurken oder Silberzwiebeln und natürlich Schwarzbrot. Wenn es diese Lebensmittel nicht zu kaufen gab, wurden sie selbst hergestellt.

Unser Essen waren stark von deutschen Einflüssen geprägt: Es gab Kartoffelpuffer und jede Menge deutscher Kuchen, zu Weihnachten einen gefüllten Truthahn – das Rezept verwahre ich bis heute in meiner Küche. Mit Leidenschaft haben wir Kinder Hühnchen mit Mayonnaise und Zucker oder Avocado mit Zucker gegessen. Nussmehl, Zucker und Rosinen wurden viel in unserer Küche verwand. Es war eine recht gesunde Ernährung. Zu Trinken gab es zum Mittag oft schon Schwarzbier mit einem Ei und Nussmehl verquirlt. Meine Großmutter kochte so, wie es ihrem Mann gefiel. Das erste Gebot in der Küche lautete: Chili und starke Gewürze sind absolut verboten. Chili tötet den Geschmack! Mein Großvater fand es eine Barbarei, Chili zu verwenden.

Freizeit und soziales Engagement der Großeltern in La Paz

In der Freizeit wurde musiziert und viel gelesen. Während der Woche durften wir Kinder nach Erledigung der Hausarbeiten mit unseren Nachbarskindern, Paul und Monika Rosenbaum, spielen. Die Rosenbaums waren deutsch-jüdische Flüchtlinge, die sich als Händler ihren Lebensunterhalt verdienten. Sie leben schon lange nicht mehr in Bolivien. Meine Großeltern verstanden sich sehr gut mit ihnen.

Am Wochenende fuhren wir Enkelkinder mit unserem Großvater in seinem Ford zum Haus von Verwandten, um mit deren Kindern zu spielen. Meine Großeltern verbrachten ihre Wochenenden häufig mit ihrem Sohn Erich und seiner Gattin Grace Rowe, Tochter eines englischen Bergbauunternehmers aus Oruro. Das waren unsere Freizeiten! Ferien kannten

Aus den guten alten Zeiten in Oruro:

Porzellan Teller Rosenthal

Unser Alltagsleben war durch geregelte Zeiten geordnet: Die Essenszeiten waren meinen Großeltern heilig und wurden strikt eingehalten. Abends aßen wir ein deutsches Abendbrot und nicht wie die Bolivianer ein warmes Abendessen. Um fünf Uhr gab es kalten Aufschnitt oder Hühnchen mit Mayonnaise,

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wir nicht, erst später, als meine Großeltern nach Santa Cruz zogen und dort eine Finca bewirtschafteten, verlebten wir die Schulferien auf dem Lande.

Die Großeltern verbrachten viel Zeit im deutschen Club. Es gab ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl und so war der Austausch innerhalb der deutschen Kolonie sehr intensiv. Großvater war Mitbegründer der Deutschen Schule und des deutschen Friedhofs. Auch im Sport war er sehr aktiv. Er liebte das Tennisspiel und organisierte die ersten Tennismeisterschaften hier in La Paz. Jedoch sein spezielles Hobby war die Schreinerei. Er hatte sich eine Garage zu einer Werkstatt umgebaut, in der er aus Holz alles möglich fertigte. Er war ein exzellenter Schreiner. So nutze ich bis heute Klappstühle, die er aus Holz hergestellt hat.

Umzug nach Santa Cruz – ein neuer Lebensabschnitt

1952 kehrten meine Eltern aus dem argentinischen Exil nach Bolivien zurück. Daher lebte ich ab 1953 nicht mehr bei

meinen Großeltern, sondern zusammen mit meinen Eltern. Das war für meine Großeltern ein einschneidender Moment. Durch die Revolution des Movimiento Nacionalista Revolucionario verloren sie alles, ihre Ländereien in Cochabamba und im Altiplano. Bis zu diesem Zeitpunkt erhielten wir regelmäßig große Körbe mit frischen Agrarprodukten aus dem Tal von Cochabamba und aus dem Hochland. Meine Familie, besonders meine Mutter, war für die Revolution und sie unterschrieben freiwillig, dass das Land unter den Bauern verteilt werden solle. Auch die Bergbaulizenzen, die mein Großvater noch besaß, wurden verstaatlicht und so hatte er keine weiteren Einkünfte mehr.

Victor Paz Estenssoro, der damalige Präsident, war ein guter Freund meines Großvaters und ein großer Bewunderer der Deutschen. Er war mein Onkel, verheiratet mit einer Schwester meines Vaters, Carmela Cerruto. Nachdem mein Großvater alles verloren hatte, fragte er ihn: Was er mit 66 Jahren denn nun machen solle? Paz meinte, dass die Zukunft Boliviens in Santa Cruz läge und zwar in der Landwirtschaft. So setzte sich mein Großvater mit der deutschen Kolonie in Santa Cruz in Verbindung und

Im Deutschen Club in Santa Cruz

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lernte die Familie Kempff kennen. Don Manfredo Kempff half ihm, ein Stück Land zu erwerben und die „Quinta Bauer“ zu errichten. Eine Milchwirtschaft sollte es werden. Aus Deutschland importierte er 14 Rasserinder der Marke Holstein und einen Zuchtstier. Er war der erste, der sich dies zutraute.

Dies bedeutet für meine Großeltern eine große Umstellung! Sie hatten kein elektrisches Licht, kochten mit Holz und wohnten weit entfernt von Santa Cruz, das zu jener Zeit auch nur eine asphaltierte Straße rund um den Hauptplatz aufwies. Wenn es regnete, verwandelten sich die Wege in Schlammpisten. Großvater besaß einen der ersten Jeeps in Santa Cruz. Trotzdem konnte man den Wagen nicht nutzen, wenn es heftig regnete, sondern musste auf den Traktor umsteigen oder zu Fuß bis in die Stadtmitte waten. Den Traktor hatte er angeschafft, um Alfalfa für die Rinder anzubauen. Aber er fand keine willigen und fähigen Arbeitskräfte, die in der Landwirtschaft arbeiten wollten. Wenn er Arbeitskräfte aus dem Hochland holte, wurden diese von den Einheimischen so schlecht behandelt, dass diese sehr bald das Weite suchten. Großvater arbeitete wie verrückt, baute Unterkünfte mit Duschen für die Arbeiter, brachte ihnen bei, Seife zu benutzen und sich vor und nach der Arbeit gründlich zu reinigen.

Diese Jahre schwerer, körperlicher Arbeit haben meinem Großvater sehr zugesetzt und infolgedessen alterte er schnell.

Seine wenige Freizeit verbrachte er auch in Santa Cruz mit seinen Landsleuten im Deutschen Club. Seine Frau begleitete ihn selten dorthin, da sie dem Kartenspiel nicht zugetan war. Die Männergesellschaft spielte gerne um Geld, was meine Großmutter verabscheute.

Noch einschneidender war die Umstellung für meine Großmutter! Sie, die aus einer vornehmen Familie aus Oruro stammte, war plötzlich eine Bäuerin, kaufte braune Rassehühner und widmete sich deren Aufzucht. So wurde sie durch die Umstände zur Bäuerin und der Lebensstil gefiel ihr. Großmutter war sehr katholisch. Vor ihrer Hochzeit wollte sie sogar in einen Orden eintreten. Ihr Glaube ermöglichte es ihr, alles als gottgegeben hinzunehmen. Aus dieser Zeit gibt es eine nette Anekdote über meine Großmutter:

„Chubis“, Raubvögel, bedrohten wiederholt ihre Hühner. Die Greifvögel raubten immer mehrere Küken, ließen sie dann im Flug fallen, so dass sie verendeten. Meine Großmutter konnte dies eines Mittags nicht mehr mitansehen, lief in den Flur, wo mein Großvater sein Mausergewehr versorgt hatte, zielte, schaute aber weg im Moment des Abzugs und traf trotzdem die Räuber. Sie empfand Mitleid mit den Raubvögeln, gleichzeitig wollte sie jedoch ihre Hühner verteidigen. Also schaute sie beim Schuss weg. Sie war zeitlebens eine sehr praktische Frau.

Von 1954–1960 lebten wir, also die erste und zweite Generation Bauer, hier in Bolivien. Dann zogen meine Eltern mit uns nach Washington D.C., da mein Vater als Militärattaché Bolivien vertrat. So besuchte ich in den USA die Grundschule.

Jetzt besuchten wir unsere Großeltern in Santa Cruz nur noch in den Ferien. Dort lernte ich auf Bäume zu klettern, Mangos vom Baum zu essen, mit der Natur zu leben, Abenteuer mit

Reisekoffer aus Deutschland, der ihn ein Leben lang begleitete

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Schlangen zu überstehen. Unsere Ferien auf der „Quinta Bauer“ in Santa Cruz habe ich in sehr guter Erinnerung behalten.

wo Familienangehörige meiner Großmutter wohnten und sich um sie kümmerten.

Bezug zu Deutschland

Mein Großvater hat seine deutsche Staatsangehörigkeit nie aufgegeben. Deutschland besuchte er während seiner Zeit in Oruro noch regelmäßig. Später holte er seine Schwestern nach Südamerika nach. Seine Mutter war verstorben. So hatte er im Alter keine nahen Verwandten mehr in Deutschland. Freunde hatte er wohl auch nicht mehr, denn ich erinnere mich nur, dass er über seine bolivianischen Freunde redete.

Charakter des Großvaters

Mein Großvater war sein Leben lang ein hart arbeitender Mensch. Er war gut organisiert und sehr ordentlich. So hat er auch alle seine persönlichen Unterlagen gut sortiert hinterlassen. Selbst seinen Reisepass aus den 40iger Jahren besitzen wir noch. Zeit seines Lebens war er frohgemut, strikt im Umgang mit sich selbst und mit seiner Familie. Da er gleichzeitig sehr liebevoll mit seinen Kindern und uns Enkelkindern umging, war er uns ein Vorbild. Er hat nur das von uns verlangt, was er auch von sich selbst verlangte. Er war Zeit seines Lebens Lutheraner. Erst in seinen letzten Lebensjahren trat er zum katholischen Glauben über. Dies geschah als ein Zeichen des Respektes und der Dankbarkeit an seine Gemahlin, die sehr katholisch war und ihr Leben nach ihrem Mann ausgerichtet hatte.

Das Interview wurde geführt mit Enkeltochter Sonia Cerruto

Bauer im Juli 2015 in La Paz geführt.

Die Fotos stellte Erich Bauer-Rowe bereit

Das Alter

Das Klima in Santa Cruz bekam meinem Großvater nicht. Die kalten Südwinde machten ihm zu schaffen und er erkrankte oft. Gute Kliniken waren in Santa Cruz nicht vorhanden. An Medikamenten herrschte oft Mangel. So verabreichte er sich selbst die Injektionen, wenn er mal wieder an tropischen Krankheiten litt.

Bei einer der Fahrten während der Regenzeit passierte ein Unfall. Großvater fuhr mit dem Traktor nach Santa Cruz und Beifahrerin Großmutter fiel während der Fahrt vom Gefährt, landete aber Gott sei Dank im Schlamm und wurde nicht von ihrem eigenen Traktor überrollt. Nach diesem Unglück entschieden sich meine Großeltern, das Leben auf der Quinta aufzugeben. Sie zogen zuerst in ein hübsches Haus in die Innenstadt von Santa Cruz. Und nach einigen Jahren zogen sie wegen des milderen Klimas weiter nach Cochabamba. Reisen konnten sie jetzt nicht mehr, da Großvater stark unter Arteriosklerose litt. Auch machte ihm die Höhe von La Paz zu schaffen. Sie lebten noch acht Jahre zufrieden in Cochabamba,

Ein Andenken aus Deutschland,

das er in seinem Reisekoffer mitbrachte

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Aus den „goldenen“ Zeiten in Oruro: Arbeitsplatz von Erich

in der Zinnschmelze

Erich im Labor der Zinnschmelze

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Bernhard Inte

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Bernhard Friedrich Christian Elsner

Geboren in Norddorf, Schleswig Holstein, am 29. Juli 1894 Gestorben in Santa Cruz im September 1955

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Auswanderung

Bernhard wanderte nach dem I. Weltkrieg zusammen mit vier Brüdern Johannes, Heinrich, August und Hans nach Lateinamerika aus. Sie waren 11 Geschwister. Seine Brüder verließen Deutschland schon vor 1905. Bernhard war der Jüngste und besuchte zu diesem Zeitpunkt noch die Schule, schloss diese mit der mittleren Reife ab und absolvierte eine Lehre als Metallwarenkaufmann bei seinem Onkel. Er sollte nachkommen und vorher noch seinen Militärdienst absolvieren. 1913 wurde er bei dem 613. Infanterieregiment in Schleswig Holstein eingezogen.

Bis 1919 nahm er als Offizier am I. Weltkrieg teil, wurde verwundet und in Carcassonne gefangengesetzt. Die Zeit der Gefangenschaft nutzte er, um Spanisch zu lernen und sich Buchhalterkenntnisse anzueignen. Zwangsweise bereitete er sich sehr gründlich auf seine Ausreise vor. Er kam erst Ende 1919 frei, da die Alliierten die in Schleswig-Holstein Inhaftierten festhielten, um zu verhindern, dass sie in der Volksabstimmung gegen den Anschluss von Holstein an Dänemark stimmen könnten. 1920 schiffte er sich endlich in Hamburg ein. 1921 erreichte er über Manaus die Kleinstadt Trinidad im bolivianischen Tiefland.

Infanterieregiment Schleswig Holstein 163

Familie Elsner um 1900

Anfangsjahre

Seine Brüder Johannes, Heinrich und August hatten zwischenzeitlich in Trinidad bereits das Handelsgeschäft „Elsner Hermanos“ gegründet. Ihr Familienbetrieb widmete sich dem Tauschhandel. Gummi und Chinarinde wurden exportiert und alle gängigen Waren vom Fingerhut bis zum Klavier importiert. Noch im gleichen Jahr entzweite sich Bernhard mit seinen Brüdern. Seine drei Brüder verließen Beni nie und verstarben noch vor dem II. Weltkrieg in Trinidad. Sie waren zudem stille Teilhaber der Firma „Kyllmann, Bauer & Co“ (siehe Interview Wilhelm Gerhard Kyllmann).

Bernhard zog weiter nach Oruro ins bolivianische Hochland, wo er beim deutschen Konsul Martins

Waffenreinigung

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(Großvater von Carlos Martins) eine Anstellung bekam. Dort hielt er es bis zum Jahre 1925 aus. Ich nehme an, sie haben mit Erzen gehandelt. Oruro lebte zu dieser Zeit vom Zinn- und Goldexport.

Familiengründung

Im Jahre 1924 traf die Dame seines Herzens, Elsa Schweitzer. Sie stammte aus Santa Cruz und ihre wohlsituierten Eltern besaßen das Handelshaus „La Providencia & Co“.

nicht weiter geführt. In La Paz erblickten meine Schwestern, Elli und Lina, das Licht der Welt. Erst sieben Jahre später, 1935, wurde Hans Hermann und 1942 Terecita geboren – wir waren fünf Geschwister.

Familie Philippe und Barbara de Schweitzer

Am 3. Oktober 1925 fand eine rauschende Hochzeit in Santa Cruz statt. Meine Mutter, 10 Jahre jünger als ihr Auserwählter, soll vor der Hochzeit zu ihren Eltern gesagt haben: „Este o nadie“! (Er oder keiner!)

Bernhard verließ das Handelsunternehmen Martins und gründete im Einvernehmen mit seinen Schwiegereltern in La Paz eine Niederlassung der Firma „La Providencia“. Nach der Hochzeit zog das junge Paar nach La Paz und von dort weiter nach Deutschland, um Waren für die Firma zu bestellen. Auf dieser Reise wurde ich, Bernhard Philipp Hans, als sein ältester Sohn, in Hamburg am 3. August 1926 geboren. Vater war gerade auf Dienstreise in Bradford, England, um Waren einzukaufen als ihn die Nachricht meiner Geburt erreichte. Mit nur wenigen Monaten kehrte ich nach La Paz zurück. Mein Vater vermachte mir ein Tagebuch, das er anlässlich dieser bewegten Tage zwischen Hamburg und England verfasst hatte. Leider wurde es in Bolivien

Geschäftsaufbau und Selbstständigkeit

Um das Geschäft mit einer deutschen Vertrauensperson auszuweiten, überzeugte er seinen Neffen, Joachim Bauer, von Hamburg nach La Paz zu ziehen und ins Geschäft als Teilhaber einzusteigen. Die ältesten Schwestern von meinem Vater Anna, Nide und Doris lebten zu dieser Zeit in Hamburg. Joachim Bauer, ein Sohn von Doris, kam dem Wunsch nach. Schon 1934 trennten sich mein Vater, Bernhard Elsner mit Partner Joachim Bauer vom Unternehmen seines Schwiegervaters Philipp Schweitzer und eröffneten eine eigene Firma unter dem Namen „Casa Bernardo“ ebenfalls mit Sitz in La Paz. Bernhard Elsner und Joachim Bauer gelang es unter hohen persönlichen Einsatz, die Firma relativ schnell gut auf dem Markt zu positionieren.

Das Handelshaus „Casa Bernardo“ wächst

Der Erfolg der Firma, die auch „La tienda mejor surtida de la República“ genannt wurde, lag aus meiner Sicht in der Verkaufsorganisation, die Bernhard Elsner anwandte. Er arbeitete mit bis zu 70 Handlungsreisenden im Haupthaus und 20 in den Provinzen, was für damalige Verhältnisse ein hoher Personalbesatz war. Über Handlungsreisende wurde

Die Familie wächst

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die Ware sozusagen an den Mann oder die Frau gebracht. Sie fuhren mit Lastwagen in die kleinen Dörfer und Städte, wo sie die Waren ablieferten und gleich kassierten. Bernhard führte eine sehr strenge Kassenorganisation ein. Da funktionierte alles am Schnürchen. Als guter Manager hielt er an den Handelsmodellen des 19. Jahrhunderts fest. Das war den jungen Modernen schon viel zu arbeitsam, viel zu kompliziert. 1935 bis 1942 waren die goldenen Jahre der Firma „Casa Bernardo“. In den besten Zeiten gab es wirklich alles in unserem Warensortiment, von Haushaltsprodukten der damaligen Zeit bis hin zu Luxusprodukten aus Deutschland. Das war die Stärke der Firma, Rosenthal, Junghans Uhren, Kosmetikprodukte von Wella und Margot Astor, Wolfbestecke. Aus Finnland wurde von der Marke „Arabia“ alles was Geschirr war, Teller, Tassen, Schüsseln importiert. Im Jahre 1938 wurde das Gebäude, in dem sich unser Handelshaus befand, enteignet, um die Avenida Mariscal Santa Cruz zu verbreitern. Als Entschädigung erhielt unsere Familie ein Gelände in der Avenida Camacho Ecke Colón, also in bester Lage, wo wir das neue Gebäude der Firma „Casa Bernardo“ zwischen 1939 und 1941 errichteten.

Nationalsozialismus und II. Weltkrieg

Zu Beginn des Nationalsozialismus war mein Vater Mitglied der NSDAP; 1933 trat er in die Partei ein. Als 1935 die Judengesetze eingeführt wurden, ist er wieder ausgetreten. Ich war als Junge sehr eingenommen von den Nazis. Mein Vater hat immer nur zugeguckt, was ich machte. Er hat sich an meiner Entwicklung erfreut. Nie versuchte mein Vater, mich zu überreden, auch Vorwürfe hat er uns nie gemacht. Nach einem Jahr in einer Nazigruppe in Buenos Aires bin ich ausgetreten. Da brauchten wir keine Fahne mehr an unserem Haus aufzuhängen.

Auswirkungen des Krieges

Im Jahre 1942 erklärte Bolivien Deutschland den Krieg. Unserem Vater wurde von Regierungsseite

nahe gelegt, Bolivien zu verlassen. So zog er sich nach Buenos Aires zurück.

Nach Schulschluss im November des gleichen Jahres zog die Familie nach. Die Auswirkungen des Krieges legten praktisch alle deutschen Handelsaktivitäten lahm. Während des Krieges, also in unserer Zeit in Argentinien, wurde mein Vater, da er in Bolivien finnische Produkte vertrieben hatte, zum finnischen Konsul für Buenos Aires berufen. In Buenos Aires lebten wir bis 1948.

Da die deutsche Nationalität beibehalten wurde,

wurde jährlich ein Führungszeugnis ausgestellt

Die Firma „Casa Bernardo“ wurde in diesen Jahren in Bolivien verkleinert und ihr großes Firmengebäude wurde an die „Banco Popular del Perú“ vermietet und die oberen Stockwerke wurden zu Büroräumen für andere Unternehmen umfunktioniert. Von dieser Miete lebten wir in Argentinien. Unsere Familie war zu diesem Zeitpunkt schon auf sieben Mitglieder angewachsen. Während des Krieges hat mein Vater unglaublich viele „Freßpackete“ an die Schwestern und an die Freunde in aller Welt, besonders aber

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nach Deutschland, versendet. Erst ab 1948 konnte die Firma wieder unter Bernhard Elsner und Joachim Bauer aufgebaut werden. 1949 wurde zudem Franz Vedral in das Unternehmen aufgenommen.

1950 wurde von meinem Vater in La Paz eine Tuchfabrik, Namens FATEJA S.A. (Fábrica de Tejidos Jacard S.A) aufgebaut, um die Importe zu substituieren. Die Fabrik spezialisierte sich auf Polyester für die Fertigung der weiten Röcke der „Cholitas“, den typischen Kleidungsstücken der Tracht der „Pazeñas“, der Aymarafrauen in Bolivien. Die Stoffe von FATEJA S.A. wurden auch in die Nachbarländer exportiert.

Der Olympia Schreibmaschine

Die Nachkriegszeit

Nach der erfolgreichen Anfangsphase vor Ausbruch des II. Weltkrieges hat sich die „Casa Bernardo“ langsam spezialisiert, mehr Dienstleistungen wurden angeboten, aber auch zum Beispiel die Schreibmaschinen von Olympia, die bis heute in jedem öffentlichen Büro in Bolivien zu sehen sind, wurden über viele Jahre von uns vertrieben.

FATEJA- Gebäudekomplex der Fabrik

FATEJA hat sich bis in die 70 Jahre sehr gut gehalten, trotz den immer neuen Herausforderungen, die die wechselnden Regierungen stellten. In den 70iger Jahren verkaufte der jüngste Sohn Hans die Firma an SAID, um so Arbeitsplätze zu retten, da sich FATEJA nicht mehr gegen die Schmuggelware aus dem Ausland - insbesondre Fernost - behaupten konnte. Zudem fehlte es an Kapital, um auf Bauwollfasern umzusteigen.

Aber noch einmal zurück zu unseren beiden Unternehmungen in den 50iger Jahren: Die Inflation 1952 und 1956 trafen unsere Firmen schwer und verminderten erheblich ihr Kapital. Ein schwerer Schlag für unser Unternehmen war zudem der Tod von Bernhard Elsner im Jahre 1955 in Santa Cruz. Trotzdem gelang es uns, bis zum Jahre 1962 die beiden Firmen wieder zu sanieren.

Ab 1963 veränderte sich die Verkaufsstruktur des Handelshauses „Casa Bernardo“: Das Unternehmen übernahm mehr und mehr Vertretungen deutscher Unternehmen und rückte ab von dem Vertrieb von

FATEJA- Einweihung der Fabrik mit Ministern

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Haushaltsgegenständen allgemeiner Natur. Die wichtigsten Vertretungen waren Bayer A.G., Karl Zeiss, PHYWE, Olympia, Wella und Margret Astor. Als im Jahre 1968 der Mitbegründer der Firma Joachim Bauer verstarb, ging die Firmenleitung an Franz Vedral und die Söhne Bernhard und Hans Elsner über.

1969 wurde im Rahmen der Vertretung von Bayer S.A. ein neues Subunternehmen gegründet die „Química Boliviana S.A.“. Im Rahmen einer verwaltungstechnischen Rationalisierung waren so drei Subunternehmen entstanden, die jeweils einem der drei Geschäftsführer unterstellt wurden. So wurde im Rahmen der „Gruppe Bernardo“ das Subunternehmen „Casa Bernardo“ von Franz Vedral, die Textilfabrik „FATEJA S.A.“ von Sohn Hans und die „Quimica Boliviana S.A.“ von Sohn Bernhard Elsner geleitet. Bis 1980 existierte unsere Unternehmensgruppe „Grupo Bernardo“ noch unter unserer Leitung als Familienunternehmen.

Textilmaschinen und Arbeiterinnen

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Profil meines Vaters

Rechtschaffenheit. Ein wunderbarer Mensch. Er war absolut rechtschaffend, pünktlich ehrlich, genau, gerecht in jeder Beziehung – ein Modellmann. Das ist es, was er uns hinterlassen hat. Als Vater war er streng und gleichzeitig sehr großzügig. Er war sein Leben lang bekennender Protestant, meine Mutter hingegen war sehr katholisch geprägt. Am meisten hat sich mein Vater familiär dafür eingesetzt, daß wir Kinder Deutsch sprechen.

Trotz seiner Krankheit hat er es sehr weit gebracht. Meine Mutter war eher schüchtern und lieb. Die katholische Kirche war für sie sehr wichtig, besonders da wir Kinder später evangelisch erzogen wurden. Mutter tat, was Vater wollte. Bernhard hatte unter der Verletzung aus dem I. Weltkrieg über viele Jahre sehr gelitten. Er verstarb mit 61 Jahren. Unsere Mutter starb hingegen erst im Jahre 2000 mit 96 Jahren in ihrem Elternhaus in Santa Cruz. Meine Eltern führten eine sehr gute Ehe. Für sich und seine Holde hatte er 1935 das schönste Wohnhaus in San Jorge, La Paz, auf einem Grundstück von 3000 Quadratmetern errichten lassen.

Dass er großzügig war, hatte ich ja bereits erwähnt. Aber ich möchte es mit einem weiteren Beispiel illustrieren: Anlässlich meines bestandenen

Unser Wohnhaus Familienfoto

Das Familienleben

Bei uns Zuhause wurde Spanisch und Deutsch gesprochen. Vater hielt uns Kinder immer an: „Deutsch sprechen, Deutsch sprechen!“ Gute deutsche Gewohnheiten wurden gepflegt. Der Alltag, den wir lebten, erschien mir ziemlich deutsch und ziemlich streng. Wir hatten zwar vier Dienstmädchen, aber wenn Arbeiten im Haushalt anstanden, wurden wir hinzugezogen. Die Küche war international, Feste wie Weihnachten, Ostern oder Geburtstage wurden nach deutschem Brauch gefeiert. Vater war ein absoluter Familienmensch.

Vater war sehr oft krank und litt unter seinen Wunden aus dem I. Weltkrieg. Seine wenige Freizeit, wenn er gesund war, verbrachte er in der deutschen Kolonie. Er nahm sich praktisch nie eine Auszeit. Sozial hat er sich für die deutsche Klinik stark gemacht. Die deutschen Ordensschwestern, die in dem Krankenhaus arbeiteten, wohnten bei uns zuhause. Danach war er aktiv bei der Gründung der Deutschen Schule und des Deutschen Vereins.

Nach Deutschland fuhr er nicht sehr oft - vielleicht 1926, 1932, 1942 und 1948. Dann ging es ihm gesundheitlich schon so schlecht, dass er gar nicht mehr ans Reisen denken konnte. Wir Kinder reisten häufiger nach Deutschland, auch meine Frau und ich.

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deutschen Abiturs an der Goetheschule in Buenos Aires hat er mir ein Auto geschenkt, einen Chevrolet. Ich war fassungslos, weil niemand ein Auto hatte. Damals gab es noch recht wenige Autos. Das war 1944. Wir feiern dieses Jahr 70 Jahre unseres deutschen Abiturabschlusses in Buenos Aires.

Das Interview wurde mit Elli und Bernhard Elsner, genannt „Tusch“, in Santa Cruz am 3.12.2014 geführt.

Zudem flossen Informationen aus der Schrift von Hans Elsner über die „Geschichte der „Casa Bernardo S.A.“ und

seiner Subunternehmen“ aus dem Jahre 1974 ein.Sein Sohn Richard Elsner, 4. Generation Elsner in Bolivien, nahm das Interview im Namen der Familie ab und stellte

die Fotomaterialien zur Verfügung, die sein Vater Hans aufbewahrt hatte.

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Ludwig Inte

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Ludwig ErnstGeboren in Baden-Baden

Gestorben in Baden-Baden im September 1955

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Auswanderung

Mein Großvater kam als sehr junger Mann gegen Ende des letzten Jahrhunderts nach Bolivien. Er suchte hier sein Glück, denn die Verhältnisse in Deutschland waren schlimm. Die genauen Daten kenne ich nicht, aber einer seiner Söhne arbeitete schon zusammen mit dem deutschen General Hans Kundt im I. Weltkrieg. Sein Sohn Raúl diente später unter dem gleichen Kundt in der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Bolivien und Paraguay, dem sogenannten Chaco Krieg, 1932-1935. Raúl wurde mit dem Verdienstkreuz ausgezeichnet, da er sich freiwillig im I. Weltkrieg an die Front gemeldet hatte und 1914 eine strategisch wichtige Brücke sprengte. Er hat also für Deutschland wie für Bolivien gekämpft.

und kam nach La Paz, wo er bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland lebte. (Anmerkung CM: Erst im Friedensvertrag von 1904 besiegelte die bolivianische Regierung die territoriale Neuaufteilung des Küstenstreifens, die Ergebnis des Salpeterkrieges 1879-1884 zwischen den Ländern Chile, Peru und Bolivien war.)

Für Ludwig Ernst begann der wirtschaftliche Aufstieg in der Neuen Welt in der Grenzstadt Puerto Pérez, am Titicacasee gelegen damals Chililaya genannt. Dort managte er die „Agencia Aduanera“, die Zollbehörde, womit er viel Geld verdiente. Er heiratete Carmen Rivera, Tochter einer wohlhabenden Familie dieser Region, die Grundbesitz in die Ehe einbrachte. „Don Luis“, so wurde Ludwig Zeit seines Lebens in Bolivien genannt, hielt um die Hand seiner Holden an, aber die künftigen Schwiegereltern erwiderten nur: „Unmöglich, er wird wohl einer dieser atheistischen Ausländer sein!“ Sie verweigerten ihre Zustimmung zur Heirat und so flüchtete das junge Paar und ehelichte sich heimlich. Die Ironie der Situation liegt darin, dass Ludwig ein sehr gläubiger Katholik war, nur das glaubte man ihm nicht, da ja die meisten Ausländer der protestantischen Glaubensgemeinschaft angehörten.

Familiengründung und einschneidende Familienerlebnisse in Chililaya

Mit der Zollagentur in Chililaya verdiente er, wie schon erwähnt, seinen Lebensunterhalt. Zudem importierte er peruanische Waren nach Bolivien. Dort wurden seine ersten drei Kinder geboren, mein Vater Hugo im Jahre 1888 und die zwei Töchter Luisa und Carmen. Danach kamen noch zwei weitere Kinder, nämlich Raúl, der im Chacokrieg kämpfte und Ruiz der Jüngste, der Pilot, in La Paz zur Welt.

Aus dieser Zeit wurde mir eine für unsere Familiengeschichte sehr einschneidende Episode erzählt: Auf einer der Dienstreisen von Don Luis von Chililaya nach La Paz begleitete ihn sein ältester Sohn Hugo. Sie gingen in den Deutschen Club zum Essen. Da trafen sie einen Deutschen, der alleine am Tisch saß. Es stellte sich heraus, dass es ein Pädagoge

Der deutsche General KundtRobert S. Brockman, 2012

Ich habe meinen Großvater nie kennen gelernt. Da er im Alter an seinen Geburtsort Baden-Baden zurückkehrte und dort verstarb. Ich weiß aber, dass er zuerst nach Antofagasta kam und dort im Handel arbeitete. Erst als Bolivien durch den Krieg mit Chile Antofagasta verlor, verließ er Antofagasta

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aus Deutschland war, der in La Paz eruieren sollte, wie eine Deutsche Schule zu gründen sei. Dieser Versuch scheiterte letztendlich, denn die erste Deutsche Schule wurde in Oruro gegründet. Aber dieser Pädagoge, ein Herr Professor, hat das Leben meines Vaters nachhaltig beeinflusst.

Mein Vater ging nämlich in Chililaya mit den Indiokindern in die Dorfschule. Da er sich schämte mit Schuhen in die Schule zu gehen, alle Klassenkameraden gingen barfuß, zog er sie an der nächsten Wegbiegung aus, versteckte sie in seinem Schulranzen und war so angepasst an die armen Verhältnisse der Dörfler. Anfangs bereitete das Barfußlaufen ihm zwar Mühe, aber er gewöhnte sich daran. Ebenso erlernte er die Sprache der Indiokinder, das Aymara, was er Zeit seines Lebens perfekt beherrschte. Ein bisschen Spanisch brachte ihm seine Mutter bei. Der Kleine konnte praktisch nur Aymara. Deutsch sprach er gar nicht. Er war in der Kultur der indigenen Kinder zuhause. Der deutsche Pädagoge war entsetzt, als er beim Essen mitbekam, dass Hugo, ein deutschstämmiger Junge, „wie ein Indianer“ aufgezogen wurde. Don Luis rechtfertigte sich zwar mit dem Argument, dass es in Chililaya, wo er arbeitete, keine andere Möglichkeit gäbe und er sein Kind bei sich haben wolle. Der deutsche Pädagoge „outete“ sich darauf hin als Direktor einer Schule in Deutschland und bot sich an, Hugo mit nach Deutschland zu nehmen.

Don Luis stimmte zu, kaufte einen Koffer, ein paar Schuhe und die notwendigsten Kleidungsstücke und trennte sich von seinem Sohn. Mein Vater lebte seit diesem einschneidenden Erlebnis 20 Jahre in Deutschland. Das muss der Schock des Lebens für klein Hugo gewesen sein: Ein Kind, das im Hochland aufgewachsen war, das man nach Berlin mitnahm, das kein Wort Deutsch sprach und das immer nur mit den Jungen vom Land zusammen gewesen war. Das muss eine sehr schwere Zeit für meinen Vater gewesen sein, die Trennung von der Familie und das neue ungewohnte Umfeld in Berlin.

In Chililaya ereignete sich aber noch etwas Berichtens wertes: Don Luis holte sich zu seiner Unterstützung aus Deutschland den jungen Friedrich (Frederico) Martins als Vertrauensperson.

Dieser Friederich verheiratete sich mit einer Bolivianerin und gründete ebenfalls eine große Familie in Bolivien, Carlos Martins ist sein Enkelkind. Die Schwester von Don Luis, Emma, war nämlich in Hamburg mit einem Martins verheiratet. Und Emma war die Mutter von Friederich, der so als ganz junger Mann durch diese Familienbande nach Bolivien kam. Friederich Martins war später auch mal Leiter der Brauerei in La Paz – das war damals ein reines Familienunternehmen!

La Paz – Aufbau der Bierbrauerei

Aber zurück zu unserem Großvater Don Luis. In dieser Zeit, als er noch in Chililaya lebte, gründete er in La Paz mit anderen Deutschen die Bierbrauerei, „Cervecería Boliviana Nacional“, die bis heute existiert, jetzt allerdings „La Paceña“ genannt wird. Das Logo wurde über die Jahrzehnte beibehalten. Das Kapital zu Unternehmensgründung hatte Großvater in der Zollagentur in Chililaya erwirtschaftet. Er siedelte nach la Paz um, arbeitete sehr viel, ging früh aus dem Haus und kam spät abends wieder. Viele Jahre schaffte er hart, denn zu Beginn war es eine kleine Brauerei, die langsam wuchs.

Auf Anordnung meines Großvaters musste Hugo nach dem Abiturabschluss in Deutschland nach Bolivien zurückkehren und im väterlichen Betrieb in La Paz arbeiten. Um Deutschland in Kriegszeiten zu verlassen, musste mein Vater bei den deutschen Behörden angeben, bolivianischer Staatsbürger zu sein. Mein Vater hatte viele Ländern in Europa besucht, sprach sieben Sprachen, aber hatte nie eine Berufsausbildung abgeschlossen: Er lernte durch das Leben. Auch er arbeitete hart. Und als Don Luis nicht mehr arbeiten wollte, das war schon recht bald um 1914 gewesen, übertrug er seinem Sohn die Leitung der Brauerei.

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Die zweite Generation vermehrt erfolgreich den Reichtum

Während Großvater mit seiner Frau und seinen jüngeren Kindern nach Berlin reiste, um ein gutes Leben zu führen, musste sein Ältester, Hugo, Geld anschaffen. Großvater wollte nicht mehr in der Brauerei arbeiten und wieder in Deutschland leben. Bolivien hatte ihm nie gefallen. Als mein Großvater La Paz verließ, um nach Baden-Baden zurückzukehren, war die Brauerei die größte im Lande. Als er in Berlin mit seinen vier Kindern lebte, hatte er ein wunderschönes Haus „Unter den Linden“. Sie lebten wie die Könige. Aus Berlin kamen immer die Kabel an meinen Vater: „Hugo, schick Geld! Hugo,

und Maria Louisa. Sie wurde in Baden-Baden neben ihrem Mann beerdigt.

Mein Vater Hugo heiratete eine Argentinierin. Er lebte mit ihr in La Paz und alle Kinder wurden in La Paz geboren. Wir waren fünf Geschwister. Neben der Leitung der Brauerei repräsentierte mein Vater in Bolivien viele deutsche Firmen wie AEG, Badische-Anilin & Lode Fabriken, OSRAM, Hoffmann La Roche. Er machte auch als Kaufmann gute Geschäfte und investierte in Immobilien und Grundstücke. Dann ging mein Vater in die Politik. Seine Geschäfte führte sein Kompagnon Rottmann weiter.

Unsere Residenz in La Paz

Auch in seinen besten Zeiten in La Paz, als er schon ein wohlhabender, angesehener Bürger war, pflegte mein Großvater einen aufwendigen Lebensstil. Die

Annonce des Handelshauses Ernst

schick Geld!“ Der aufwendige Lebensstil des Vaters in Berlin ebenso wie der seiner Geschwister, die halbe Hippies waren und nach Monaco ins Spielkasino fuhren, verschlangen große Geldsummen. Und Hugo musste das Geld für den luxuriösen Lebenswandel in der deutschen Hauptstadt herbeischaffen. Daran erinnere ich mich noch sehr gut.

Großvater kehrte nie mehr nach Bolivien zurück und verstarb 1955 an seinem Geburtsort in Baden-Baden. Seine Frau kehrte nach dem Tod ihres Mannes nach La Paz zurück, was ihr aber nicht mehr gefiel und so kehrte auch sie nach Deutschland zurück und lebte dort mit ihren zwei jüngeren Töchtern, Carmen

Ansichten des ehemaligen Wochenendhauses der Fa-milie Ernst – heute Deutsche Residenz

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heutige Deutsche Residenz wurde von Ludwig Ernst zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Wochenend- und Ferienhaus gekauft und umgebaut. Er nutzte sie nur wenig, da er ja schon 1914 nach Deutschland zurückkehrte. Wir Enkelkinder haben mit unseren Eltern in den Jahren 1930-1939 dort gelebt bis auch wir nach Deutschland zogen. Als wir in Deutschland lebten, gehörte uns das Anwesen noch. Mein Vater dachte, dass das Haus nicht aufgeteilt, sondern als Familienanwesen erhalten bleiben sollte. Die unterschiedlichen Familienzweige sollten im Wechsel das Anwesen bewohnen. Aber diese Idee stellte sich als unrealistisch heraus. Als wir nach Deutschland zurückkehrten, ging das Wohnrecht an Carmen über, seine Schwester, verheiratet mit Ernst (Ernesto) Fricke Lemoine, den sie auf einer ihrer zahlreichen Besuche in Baden-Baden kennengelernt hatte. Sie lebten lange Zeit darin, bis das Haus 1955 an die Deutsche Botschaft vermietet wurde, die es auch heute noch als Residenz des Botschafters nutzt.

Die Zeiten bis zur

Nationalen Revolution von 1952

Sowohl mein Vater Hugo wie Ernesto Fricke begaben sich in die Politik. Mein Vater wurde 1939 nach Berlin als bolivianischer Botschafter berufen, wo wir bis 1942 lebten. Dort wohnten wir mit der ganzen Familie in der Meineckestraße Nummer 111. Die Schule besuchten wir in Dahlem. Sie wurde von den Ursulinen betrieben. Damals sprach ich gut deutsch, heute habe ich die Sprache verlernt.

Danach bekleidete er den Posten des Verteidigungsministers 1949-1950 und des Wirtschaftsministers von 1950-1951. Unter Hernando Siles Reyes war er Präfekt von La Paz 1938 und Bürgermeister während der nationalen Revolution 1952. Unter Paz Estenssoro wurde er inhaftiert und nach Peru exiliert. Fricke Lemoine ereilte das gleiche Schicksal, nur dass er nach Buenos Aires deportiert wurde.

Eine der Gründe zur Exilierung der „Feinde der Regierung“ war es, die ehemaligen Gutsherren nicht mehr im Lande zu haben, damit sie keine Unruhe stiften konnten. Mein Vater hatte nämlich 11 Haziendas aufgekauft. Sein Landbesitz wurde durch die Regierung 1952 enteignet und an die ländliche Bevölkerung verteilt, die Gebäude allerdings nicht. Jedoch konnten wir unsere Gebäude nicht mehr betreten, ohne Gefahr zu laufen, von der lokalen Bevölkerung aufgeknöpft zu werden. Unsere Haziendas waren „Fincas Modelos“, sogenannte Musterbetriebe. Mein Vater hatte Grundbesitz in Sorata erworben. Andere Ländereien besaß er

im Altiplano. Sein größter Grundbesitz lag in Achacachi. Unser Geld kam zur damaligen Zeit schon zu großen Teilen aus der Bewirtschaftung dieser Haziendas. Das Handelshaus war schon aufgelöst. Wir lebten von den Einnahmen der Haziendas, die er modernisiert hatte. Er kaufte Traktoren und Lastwagen für seine landwirtschaftlichen

Betriebe. Sie waren sehr modern für die damalige Zeit. Heute sind alle Gebäude verfallen.

Elena Sagarnaga de Ernst

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Leben im Exil

Als mein Vater 1952 exiliert wurde, siedelte auch unsere Familie nach Peru über, wo er noch 12 Jahre bis zu seinem Tode im Jahre 1964 lebte. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich was geerbt hätte. Mein Vater hat sein verbliebenes Vermögen im Exil ausgegeben. Er ist mit der Idee gestorben, nach Bolivien zurückzukehren. Einerseits hatte er sehr unter den Umständen in Bolivien gelitten, wollte manchmal nicht mehr zurück, andere Tage dann wieder doch. Er hatte bis zu seinem Tod ein zwiespältiges Verhältnis zu Bolivien.

Ernesto Fricke war in Buenos Aires exiliert. Als seine Frau Carmen in Buenos Aires bei einem Raubüberfall ermordet wurde, fuhr Fricke, damals schon sehr krank, zur Untersuchung nach Deutschland. Die Ärzte sagten, er müsse in die Wärme. So ging er nach Madrid. Er machte viele Geschäfte, auch im Namen Anderer. Als er starb, hatte er keinen Pfennig mehr, war bettelarm. Da er ein „Feind“ der bolivianischen Regierung war, konnte er nicht zurück. Sie fanden ihn eines Tages tot in seinem Hotelzimmer auf. Die Frage war, wer ihn beerdigt. Die bolivianische Botschaft gab vor, ihn nicht zu kennen. Geld war keins da, so kam er in Madrid ins Armengrab.

In dieser Zeit des Exils meines Vaters und des Exils von Fricke vermietete die Familie unser Anwesen an die Deutsche Botschaft. Fricke unterschrieb noch den Vertrag. So blieb das Anwesen viele Jahre vermietet bis ein Botschafter vorschlug, das Haus käuflich zu erwerben. Das Geschäft wurde mit Maria Luisa, der jüngsten Schwester von Hugo abgeschlossen. Sie lebte damals in Cochabamba, wo sie vor acht Jahren verstarb.

Das Interview wurde mit Clemencia Ernst, verwitwete

Montenegro, Enkelin von Ludwig Ernst

im Januar 2015 in La Paz geführt.

Siehe hierzu auch:

http://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Ernst_Rivera

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az4 AugustAugust Ludolf Gerke

Geboren in Hannover, am 30. Januar 1863Gestorben in Ocuri, Potosí, am 24. November 1900

Foto: Ehepaar Gerke

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Die Auswanderung

Schon Ende des 19. Jahrhundert prosperierte in Sucre das deutsche Handelshaus „Morales & Bertram“. Durch den Import von Präzisionsinstrumenten aus Deutschland und sonstigem Zubehör für den Bergbau gelang es, sich schnell einen Namen im blühenden Handelsgewerbe zu machen. Zudem wurden Stoffe, Geschirr, alles, was sich zu guten Preisen verkaufen ließ, importiert. Nestor Gutierrez Bertram, auch „Tito“ genannt, gehörte zu den ersten deutschen Händlern in Sucre, lange vor Ankunft der ersten Schütt.

deutschen Auswanderern den Hafen von Hamburg Richtung Montevideo. Weiter ging die Reise über Buenos Aires auf direktem Weg nach Sucre, Bolivien, höchstwahrscheinlich per Pferd oder Maultier.

In Sucre angekommen logierte man meinen Großvater im Hause von guten Bekannten ein, der Familie des Generals Urdinea, Angehöriger der „guten“ Gesellschaft von Sucre und baskischer Abstammung, ein enger Freund des Generals Mariscal Braun.

Dieser emsige Geschäftsmann Bertram, Onkel meines Großvaters, reiste nach Deutschland, um einen jungen Verwandten einzuladen, ihn in das ferne Bolivien zu begleiten. Herr Bertram suchte einen Buchhalter seines Vertrauens und der junge August, mein Großvater, hatte eine Lehre in Buchführung absolviert. So verließen sie gemeinsam am 14. Februar 1883 auf dem Dampfschiff „Valparaíso“ mit anderen jungen

Das kurze Leben in Bolivien

Über den weiteren Werdegang meines Großvaters ist uns wenig bekannt. Wir wissen, dass er sich nach fünf Jahren mit der Tochter der Familie Urdinea so gut verstand, dass geheiratet wurde. Am 28. Juni 1888 fand die Hochzeit in der Pfarrei „Rectoral de San Lázaro“ in Sucre statt.

Urgrosseltern in Hannover Der junge Gerke in Sucre

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Die Hochzeitsdokumente wurden beglaubigt von den deutschstämmigen Trauzeugen Teodor Deuer, Ignacio Moerch und Telésfofo Reinolds. Zu dieser Zeit lebte eine große Gruppe junger Deutscher in Sucre.

Kurze Zeit später trafen zwei weitere junge Deutsche in Sucre ein, Nicolas Jürgen Schütt und der junge Ahrens. Beide fanden Anstellung im Handelshaus Bertram und wurden bei der Familie Urdinea einquartiert. Und auch hier verband die Liebe – Vater Urdinea hatte noch zwei unverheiratete Töchter und in kürzester Zeit konnte er sich über drei deutsche Schwiegersöhne freuen.

Auch die ersten Enkelkinder aus diesen Beziehungen ließen nicht lange auf sich warten. Meinen Großeltern wurde 1890 Rudolfo, 1896 Marisa und 1899 mein Vater Carlos in Sucre geboren. Rudolfo, der Älteste, studierte Ingenieurswesen in Deutschland, wurde als Soldat im I. Weltkrieg eingezogen, kehrte in schlechtem gesundheitlichen Zustand nach Sucre zurück und starb als Junggeselle an den Kriegsfolgen kurze Zeit später in seiner Geburtsstadt. Die beiden Kinder Marisa und Carlos sprachen kein Deutsch mehr und besuchten die Schule in Sucre. Marisa verließ nie ihre Geburtsstadt und heiratete in Sucre einen Sprössling der Familie Sainz. Das jüngste Kind meines Großvaters, Carlos, also mein Vater, brach mit der Tradition der begnadeten Händler und wählte das Leben des Akademikers. Er wurde ein angesehener Anwalt. Zudem unterrichtete er an der Universität in Sucre Rechtswissenschaft und wurde Dekan dieser Fakultät. Sein Leben widmete er den Geisteswissenschaften.

Da mein Vater den akademischen Weg eingeschlagen hatte und sich aus der Politik heraushielt, stand er auch nicht auf der „schwarzen Liste“. Wir waren daher weniger von den Auswirkungen des II. Weltkrieges betroffen.

Mein Vater heiratete am 25. Juli 1931 Olga Mendieta Alvarez in Sucre. Dieser Ehe entstammt ein Sohn und das bin ich. Ich habe wiederum drei Kinder mit meiner Frau, Marcela Siles Ormachea, Tochter unseres dreimaligen Präsidenten Dr. Hernán Siles Zuazo, in die Welt gesetzt. Auch ich habe mich für ein Leben als Akademiker entschieden und leitete lange Jahre als Rektor die Geschicke der Katholischen Universität in La Paz.

Wir haben nie unsere Nationalität gewechselt. Das war aber auch nie ein Problem in unserer Familie. Mein Großvater war Deutscher, wir Nachkommen fühlen uns als gute Bolivianer. Wir haben uns ja auch immer mit Bolivianerinnen verheiratet. Heute beherrscht keiner mehr in unserer Familie die deutsche Sprache. Ich bin aber froh, dass das Wissen über meinen deutschen Großvater dokumentiert wird und diese schöne Geschichte nicht verloren geht.

Interview mit seinem Enkel, Carlos Gerke, La Paz im Oktober 2014

Erinnerungsstück: die Uhr meines

Grossvaters aus Deutschland Familie Gerke mit deutschen Freunden in Sucre

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Ladengeschäft oder Büro um die Jahrhundertwende

(Autor anonym)

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az5 Wilhelm Wilhelm Bernhard Kyllmann Afinger

Geboren am 28.12.1871 in BerlinVerstorben am 19.12.1961 in La Paz

Don Guillermo Kyllmann

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Die Auswanderung

Mein Großvater erblickt in Berlin am 28.12.1871 als zweites Kind einer großbürgerlichen preußischen Familie das Licht der Welt. Sein Vater, Walter Kyllmann, war ein angesehener Baurat zu Berlin. Nach Beendigung der Schulzeit absolvierte er eine Lehre als Handelskaufmann in Hamburg. Bei Verwandten in Manchester sammelte er erste Arbeitserfahrungen. 1895 reiste er zum ersten mal nach Südamerika: Buenos Aires, die argentinische Hauptstadt, war das Ziel. Die Kyllmann Familie unterhielt gute Beziehungen zur dort ansässigen Textilindustrie und der junge Kyllmann fand in einer lokalen Zweigstelle des Berliner Handelshauses Hardt & Co., einer Tuchmacherei, eine Anstellung.

Das Familienunternehmen Hardt, welches 1803 von Johann Wolfgang & Sohn in Remscheid-Lennep und Dahlerau-Wuppertal gegründet wurde, baute eine Exportfirma für deutsche Textilien ab 1847 in New York auf. Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten von Nordamerika (1861–1865) wirkte sich unmittelbar auf die Verkaufszahlen des Handelshauses aus: das Geschäft lief schlecht. So kam es, dass sich die Firma Hardt & Co. nach neuen gewinnbringenden Ufern umschaute und diese in den Ländern Argentinien, Chile und Uruguay fand. Hier wurden unter dem Namen E. & W. Hardt neue Filialen aufgebaut und mein Großvater war mit von der Partie. Auf einer seiner Geschäftsreisen von Buenos Aires nach Montevideo lernte er seine spätere Frau, Mathilde Leopold (1871 – 1947), eine deutschstämmige Uruguayerin, kennen. Die Familie Leopold stammte in direkter Linie von Prinz Leopold Maximilian von Brunswick ab. Da Wilhelm bald darauf von seiner Firma nach Berlin zurückbeordert wurde, fand die Hochzeit nicht wie geplant in Montevideo sondern im Jahre 1901 in Berlin statt. Für die junge Familie begann einen schwierige Zeit, da mein Großvater geschäftlich viel unterwegs war und Mathilde sich nicht so leicht in das Berlin der Jahrhundertwende einlebte. Zudem verloren sie ihre ersten beiden Kinder kurz nach der Geburt bzw. im ersten Lebensjahr.

In dieser Berliner Zeit beauftragte ihn seine Firma Hardt & Co., die Exportchancen für deutsche Textilien in Peru zu sondieren. Die Expertise meines

Großvaters fiel positiv aus und so gründeten die Berliner Textilfabrikanten Engelbert und Walter Hardt die peruanische Filiale E. & W. Hardt mit Sitz in Arequipa. Im Frühling 1905 verließen meine Großeltern Berlin in Richtung Südamerika. Nach den üblichen Anfangsschwierigkeiten begann in Arequipa eine glückliche Familienphase mit der Geburt drei gesunder munterer Kinder, Helmut, Gerhard und Maria Mercedes.

Im Jahre 1907 entschloss sich die Firma E. W. Hardt, ihre Aktivitäten nach Bolivien auszuweiten. Sie beauftragte Wilhelm Bernhard als ihren Vertreter mit allen Vollmachten für die Firma, diese Aufgabe zu übernehmen. E. W. Hardt war zu dieser Zeit auch weiterhin ein reines Handelsunternehmen für Textilien und entsprechendes Zubehör (Stoffe, Nadeln, Scheren, etc.). Hardt verkaufte an Großhändler - in erster Linie an arabischstämmige Händler, die die Waren im Lande verbreiteten. Soweit ich weiß, war die Firma Hardt zwar ein deutsches Unternehmen, bezog aber einen Teil der Stoffe aus England, der Rest kam aus Deutschland.

Die Einwanderung nach Bolivien

Die Firma E. W. Hardt wurde in La Paz, Bolivien, 1907 in das Register der bolivianischen Handelskammer als GmbH eingetragen. Die Familie zog aber erst im Jahre 1914 endgültig von Arequipa weg und siedelte sich in La Paz an. Von La Paz aus, wo mein Großvater seinen Hauptsitz einrichtete, gründete er weitere Filialen: Oruro, Potosí, Sucre, Cochabamba, Santa Cruz, Villazón (Grenzort und Handelscenter zwischen Argentinien und Bolivien). Er reiste viel und beschäftigte weitere Handelsreisende im Auftrag der Firma E.W. Hard. Der Aufbau des Unternehmens in Bolivien erfolgte zwischen 1907 und 1908. Die Erweiterung des Handelshauses erstreckte sich über die ersten zehn Jahre. Selbst zwischen 1967-1968 wurden noch Niederlassungen in Trinidad, Tupíza, Camari und Atocha gegründet.

Früher kaufte man lokal ein, besonders kleine und mittlere Bergbauunternehmen versorgten sich in der Region. Nur ein Großunternehmer wie

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Patiño konnte es sich leisten, direkt Güter aus Deutschland oder England zu importieren. Als der Bergbauunternehmer Aramayo zum Beispiel die Mine „Atocha“ in Betrieb nahm – eine Gegend in der viel Blei, Zinnerze und Silber abgebaut wurden – eröffnete man eine Niederlassung an dem nächsten Eisenbahnknotenpunkt, ebenfalls „Atocha“ genannt, der sich zum lokalen Versorgungszentrum entwickelte. Mein Großvater besaß den unternehmerischen Instinkt und eines hohes Maß an Risikobereitschaft und sagte immer: In Bolivien kann man gute Geschäfte machen! Ich glaube nicht, dass man Bolivien als eine Nische bezeichnen kann, es muss auch Konkurrenz gegeben haben. Aber es gab viel „Oportunities“ und mein Großvater hatte ein gutes Gespür, diese zu aufzuspüren.

Er erzählte, dass es alles sehr primitiv war, als sie in Bolivien ankamen, teilweise wurden die Vertreter mit Musterkoffern auf die Reise geschickt, um die Kunden von Dorf zu Dorf zu besuchen. Sorata war z.B. ein Hauptkundenplatz in der Nähe von La Paz, da in der Nähe Gold gewaschen wurde. Man verkaufte dort an andere deutsche Unternehmen. Die lokalen Händler haben in erster Linie von deutschen Firmen Waren auf Bestand gelagert und weiterverkauft (Eisenwarenhandel und Agrarprodukte).

Vom Angestellten zum Firmeninhaber

Der Wechsel vom Angestellten zum Firmeninhaber erfolgte 1933 oder 1934 als sich die Firma Hardt entschloss, ihre Aktivitäten in Lateinamerika und Afrika einzustellen. Diese Entscheidung wurde in Berlin getroffen, da die Familie Hardt nicht genügend Nachkommen hatte, um das Geschäft als Familienunternehmen weiterzuführen. Die zwei Erben konzentrieren sich auf die Hardt´schen Unternehmungen in Asien und Australien.

Mein Großvater entschloss sich, zusammen mit seinem Schwiegersohn Wilhelm Bauer Elsner, verheiratet mit Tochter Maria Mercedes, der Firma Hardt den Vorschlag zu unterbreiten, alle Aktiva und Passiva käuflich zu erwerben. Wie der Verkauf von statten ging, weiß ich nicht. Ich weiß aber,

dass mein Großvater und mein Onkel auch einige Familienmitglieder der Elsner als stille Gesellschafter aufnahmen, um das notwendige Kleingeld zum Aufkauf aufzubringen. Die neugegründete Gesellschaft „Kyllmann, Bauer & Co“ (steht für die passiven Teilhaber, wären heute die Aktionäre) wurde so schuldenfrei geboren. Wir Kinder erfuhren wenig über die Geldgeschäfte unseres Großvaters. Man war zu dieser Zeit in Finanzangelegenheiten sehr diskret, darüber wurde nicht gesprochen.

Leben in La Paz

Nach den ersten Jahren, in denen die Familie in einem kleinem Häuschen der „Villa Lehnchen“ wohnte, kaufte Großvater ein schönes Anwesen in Sopocachi mit Köchin, Gärtner und Hausangestellten. Wilhelm Kyllmann wurde immer respektvoll „Don Guillermo“ genannt. Schon 1920 fuhr Don Guillermo mit einem der ersten Ford T durch die Stadt, später mit seinem famosen Studebaker. Als er nicht mehr selbst fahren durfte, liebte er es, per Chauffeur ausgefahren zu werden.

Mit Ehefrau im Garten 1933

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Er kaufte gerne in den vielen kleinen Lädchen ein, wo man alles kaufen kann, was man zum Leben braucht. Viele dieser Geschäfte waren zu seiner Zeit in Händen von deutschen Juden. Auch unser Hausarzt, Dr. Schein, entstammte einer jüdisch deutschen Familie. Sein Bruder begründete die erste Sportorganisation in La Paz. Zudem war Großvater ein guter Klavierspieler und Organisator von Festen. Was wir Kinder wahnsinnig an unserem Großvater mochten war, wenn er sagte: „Morgen fahren wir zum Automobil Club“. Dieser lag damals außerhalb der Stadt. Drei Häuser, eine Erdstraße, der wilde Achumanifluß, das war damals Achumani. Dann mußten zwei Bretter wurden über den Bach gelegt werden, alle stiegen aus, und Opa steuerte das Auto zielsicher über den Fluß. Das ging natürlich nur in

Freibad mit sehr kalten Wasser.

Zeit seines Lebens war unser Opa ein sehr sparsamer Mensch. Er war bescheiden, gab wenig aus. Wenn wir im Restaurant des Automobilclubs einkehrten, wurde jede Rechnung genau nachgeprüft, nachgerechnet und dann doch der höhere Betrag bezahlt. Wenn das Auto mal nach einem Clubwochenende nicht mehr ansprang, dann halfen alle Don Guillermo und die Trinkgelder waren gut bemessen. Auf Reisen war er großzügiger. In Berlin leistete er es sich schon mal, im ersten Hotel am Platz dem „Kempinski“ abzusteigen. Er gab große Einladungen. In Berlin wurde viel Geld ausgegeben, aber in La Paz wurde jeder Pfennig umgedreht.

Großvater kam ohne große Spanischkenntnisse nach Lateinamerika und sprach Zeit seines Lebens das Spanische mit einem deutschen Akzent. Er war perfekt zweisprachig und sprach auch sehr gut Englisch, aber er konnte weder Aymara noch

Die Kinder

der Trockenzeit. In Achumani verbrachten wir oft die Wochenende mit einem Picnic im Flussbett. Später als der deutschen Club dort ein weitläufiges Gelände im oberen Flussbett erworben hatte, konnten wir Kinder reiten und schwimmen – es gab ein kleines

Quetchua - er lebte halt in La Paz. Über diese ersten Jahre in Bolivien weiß ich leider nicht soviel, da er später bei seiner Tochter Mercedes wohnte und wir nicht den Alltag mit ihm teilten. Wir Kinder waren in der Schule oder auf der Straße zum Spielen und haben daher nicht so viel mit dem Opa geredet. Wir haben mit Opa Skat gespielt, um ihn zu besiegen und ihm ein paar Piepen aus der Tasche zu ziehen.

Familie Kyllmann in La Paz 1932

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Schwere Zeiten

Unter mir nicht bekannten Umständen entwickelte sich die Firma auch in diesen schwierigen Jahren des 2. Weltkrieges weiter bis zum Jahr 1942, in dem Bolivien Deutschland den Krieg erklärte. In diesem Jahr wurde die Firma auf Strohmänner übertragen und der Name in „Gumucio y Cia, Ltda.“ geändert. Somit wurde die Firma „bolivianisiert“ und nicht weiter den Repressalien der Alliierten ausgesetzt. Die neue Firma wurde von Juan Gumucio und Carlos Beller geleitet, einem Deutsch-Bolivianer, der mit einer „Tanchi“ Elsner verheiratet war (Teil der stillen Gesellschafter). Firmenteilhaber Wilhelm Bauer wurde nach Amerika deportiert und später im Austausch mit amerikanischen Gefangen nach Deutschland geschickt. Er kehrte erst 1948 oder 1949 nach Bolivien zurück.

Mein Großvater blieb auch während des Krieges mit seiner Frau und seiner Tochter in Bolivien. Er wurde nie auf der „schwarzen Liste“ geführt, wohl wegen seines Beitrags an die Lloyd Aéreo Boliviano, der ersten bolivianischen Luftfahrtgesellschaft. Er wurde von guten Freunden geschützt und versteckt, ihm wurde nie ein Haar gekrümmt. Er ermöglichte später, dass seine Kinder und Schwiegersöhne nach Bolivien zurückkehren konnten. Mein Großvater hatte - soweit ich weiß - seinen deutschen Pass sein Leben lang behalten, seine deutsche Identität nie aufgegeben, sich nicht aus politischen Gründen „bolivianisiert“ wie andere Deutsche.

Großvater im gesellschaftlichen Lebender Deutschen in La Paz

Mein Großvater war sehr sozial eingestellt, in dem Sinne dass er die Belange der Deutschstämmigen Zeit seines Lebens unterstützte und finanziell förderte. Ob es das Deutsche Kulturzentrum, Centro Cultural Aleman, CCA, der deutsche Friedhof oder die deutsche Schule, war - er hatte immer zusammen mit anderen die deutsch-schweizer-österreichische „Kolonie“ gefördert. Er war lange deren erster Vorsitzender. 1921 gründete er mit anderen Deutschsprachigen die Deutsche Schulgemeinschaft

und wurde zu seinem ersten Präsidenten benannt. 1923 wurde die Schule eingeweiht. Zudem war er Mitglied im Club Aleman, dem Deutschen Club, und der evangelisch lutherischen Kirche deutscher Sprache.

Die Deutschsprachigen hielten zusammen. Ihre Kinder gingen ja auch alle auf die Deutsche Schule, man traf sich im Deutschen Club. Das Clubleben war was ganz anderes als heute. Man traf sich am Abend auf ein Bier zum Klönen, man spielte Skat und kegelte, - das war das soziale Leben. Es gab ja kein Fernsehen. Der Deutsche Club lag mitten in der Stadt, wo heute das Hotel Europa steht. Neben dem Familienleben stand das Vereinsleben im Mittelpunkt. Es war damals eine Selbstverständlichkeit für einen Deutschsprachigen dort Mitglied zu werden und auch aktiv zu sein, anders als heute.

Pionier der Luftfahrt mit Familie vor DC 4 „Guillermo Kyllmann“

Pionier der Luftfahrt

Anlässlich der Feierlichkeiten der bolivianischen Unabhängigkeit 1925, hatte mein Großvater zusammen mit anderen reichen Deutschen der Regierung das erste Flugzeug geschenkt – eine einmotorige Junker F 13. Sie wurde in Einzelteilen zerlegt aus den Junker Betrieben in Dessau importiert und in Bolivien zusammengebaut. Mein Großvater sammelte das Geld zum Kauf ein. Das Kassieren konnte er. Er besuchte alle vermögenden Deutschen, immer wieder und kassierte das Geld. Die Finanzmittel für den Kauf eines Junkerflugzeuges

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zusammen zubekommen, war gar nicht so einfach. Cochabamba, Santa Cruz, Curumba, Tarija waren die ersten Strecken. Uyuni, Potosi und Sucre folgten. Nur La Paz konnte nicht angeflogen werden auf Grund der Höhe. Das war eine große Leistung der deutschen Kolonie. Danach war mein Großvater Jahre lang der erste Präsident der „Lloyd Aéro Boliviano (LAB)“ zusammen mir Frederico Martins. Sie gründeten sozusagen die erste Fluggesellschaft Boliviens und waren ihr bis ins hohe Alter eng verbunden. Im Jahre 1958 führte er im Alter von 88 Jahren eine Regierungsdelegation an, die mit einer DC 4, zu seinen Ehren auf den Namen „Guillermo Kyllmann“ getauft, die Flugstrecke La Paz - Buenos Aires eröffnete. Er war gut vernetzt mit den wichtigen Führungspersönlichkeiten seines Gastlandes und hatte viele Freunde. Er war der große Initiator.

Geburtsstunde der HANSA

Als meine Eltern im Januar 1948 nach Bolivien zurückkamen, versuchten sie, die Firma zurückzukaufen. Die Bedingungen gestalteten sich schwierig und dauerten bis 1953 an. Hier muss ich

kurz ausholen: Ich bin Jahrgang 1934, in Deutschland geboren und erst nach Bolivien im Januar 1948 gekommen. Mein Vater hatte 1925 im „Colegio Ayacucho“ sein Abitur abgelegt und ging dann nach Berlin, um Bergbau zu studieren. Er arbeitete erst bei den Vereinigten Stahlwerken, dann bei Krupp in Essen. Er war nie aktiv im Krieg, da er in der Verwaltung und der Beschaffung von Rohmaterial beschäftigt war.

Erst 1953 wurde die Firma „Gumucio“ durch Verkauf in die neu gegründete HANSA Ltda. überführt. Man wollte zu dieser Zeit nicht die Nachnamen der Besitzer im Firmennamen führen. Da alle Teilhaber aus dem Norden Deutschlands stammten, entschied man sich für den Namen HANSA in Anlehnung an den Welthandel, der durch die Hanse im Mittelalter begründet wurde. Die neuen Teilhaber waren mein Vater Gerhard Kyllmann Senior, mein Onkel Wilhelm Bauer und Elfriede Elsner, Tochter des ursprünglichen Teilhabers Elsner. Die zweite Generation übernahm als Gesellschafter das Unternehmen. Die Aktiven, die das Geschäft gemanagt haben, waren mein Vater und mein Onkel.

Es hat sich natürlich einiges geändert durch die Kriegszeit im Geschäft: Die Textilexporte aus Europa waren unterbunden und die HANSA handelte nun mit bolivianischen Textilien zum Beispiel der Firma „Said“. Said stellte Baumwollstoffe aus importierten Garnen her, die in Bolivien zu Stoffen verarbeitet wurden. Ebenso handelte HANSA mit Produkten der Firma „Forno“, die sich auf Decken aus Schafwolle spezialisiert hatten, ebenfalls in Bolivien gefertigt.

Firmengebäude noch betitelt mit Kyllmann, Bauer und Co.

Feier der Silberhochzeit in Sorata 1957

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Hinzu kamen als Handelsgüter Lebensmittel, teilweise importierte wie Mehl, Reis, Speiseöl, Schmalz, Gewürze, aber auch Produkte, die national hergestellt wurden wie Quinoa, Salz, Dillman-Konserven aus Cochabamba wie eingelegte Gurken, Gemüse, Spargel. Aus Tarija wurden die Waren der deutschen Firmen Kohlberg und Kuhlmann vermarktet, die sich auf die Herstellung von Wein und Singani spezialisiert hatten.

Nach dem Krieg waren es in erster Linie mein Onkel Bauer und mein Vater, die die Firma managten. Mein Großvater hatte sich aus dem Geschäft gezwungener Maßen während des Krieges zurückgezogen. Er war für das deutsche Gemeinschaftsleben schon immer sehr aktiv eingetreten und kümmerte sich jetzt ausschließlich um solche Aufgaben, wie

Als stolzer Grossvater

den deutschen Kulturverein. Im Alter - seine Frau verstarb 1947 - war er nicht mehr so ein Clubmensch. Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich stark beim CCA zu engagieren und große erfolgreiche Sammelaktionen durchzuführen. Er sprach jeden an und konnte jeden davon überzeugen, sein Scherflein beizutragen. Er erreichte das stolze Alter von fast 90 Jahren und verstarb in La Paz am 21.12.1961.

Aufbruch ins 21. Jahrhundert

1953 erhielten wir die alleinige VW-Vertretung in Bolivien, denn es gab ja noch keine VW-Fertigung in Brasilien oder Mexiko zu diesem Zeitpunkt (Montage). Heutzutage werden die meisten Produkte begünstigt durch Handelsabkommen aus den lateinamerikanischen Ländern importiert mit Ausnahme von Produkten aus dem höheren Classement wie z.B. die Automarke AUDI. Bis heute decken wir die Vertretung der Marken VW und Audi ab.

Die Weiterentwicklung von einem reinen Textilunternehmen hin zu einer stärker technisch ausgerichteten Firma, die Marken wie Sony, Bosch, Siemens, Elektrolux und Fazit-Schreibmaschinen, Atlas Kompressoren für den Bergbau zusammen mit den entsprechen harten Stählen zum Bohren vertrieb, erfolgte durch die zweite und dritte Generation der Familien Kyllmann-Bauer. Bis heute hat sich das Gesicht der Firma ständig weiterentwickelt, um erfolgreich mit dem Fortschritt mitzuhalten. Heute gehören zum Portfolie der HANSA auch medizinische und IT-Produkte (IT=Informationstechnologie).

HANSA hat den Großhandel nie verlassen. In vierter Generation wird die Firma als Familienunternehmen weitergeführt. Im Moment arbeiten aus der dritten Generation Herr George´s Petit, Fernando und

Volkswagen in Obrajes, La Paz

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Patricio Kyllmann sowie in der vierten Generation Sven Kyllmann, Roland Kyllmann und Brigitte Petit. La Paz, Santa Cruz, Cochabamba und Tarija sind heute die Standorte des Unternehmens. In anderen Gemeinden des Landes sind wir durch lokale Vertreter präsent.

Profil meines Großvaters

Mein Großvater als Gründer unseres Familienunternehmens hatte immer eine Vision, war zukunftsorientiert, sah den Erfolg und setzte sich für diese seine Ziele ein. Er war ein durchsetzungsfähiger, erfolgreicher Geschäftsmann. Trotzdem vernachlässigte er nie den sozialen Bereich, wenn es um die Belange der deutschen Gemeinschaft ging. Dabei spielte

die Religionszugehörigkeit eine untergeordnete Rolle. Wir gehören zwar alle der evangelischen Glaubensgemeinschaft an und unser Großvater setzte sich auch immer für die evangelische Gemeinde ein, jedoch war sein Lebensstil nicht so stark durch die protestantische Ethik geprägt, soweit ich mich daran erinnere. Klar, er lebte die guten deutschen Tugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Gradlinigkeit und er war sehr arbeitsam. In diesem Sinne hat er auch uns Kinder erzogen. Er hat sich nie in den Vordergrund gestellt und blieb immer eher ein bescheidener Mensch. Er war ein Pionier - nicht nur in der Luftfahrt!

Das Interview wurde mit den Enkelkindern Gerhard und

Wolfgang Kyllmann (Kinder von Sohn Gerhard) im November

2014 in La Paz geführt. Enkelkind Klaus Bauer ergänzte

wertvolle Erinnerungen, da er als Sohn von Tochter Mercedes

seine Jugend im Haushalt mit dem Großvater verbrachte.

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az6 Ernst Ernst Schilling

Geboren in Hamburg im Jahre 1902Verstorben in La Paz im Jahre 1986

Ernst Schilling als Unternehmer

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Auswanderung

Mein Vater wurde als zweites Kind einer Hamburger Kaufmannsfamilie geboren. Nach der Schulzeit in Hamburg absolvierte er eine Apothekerausbildung. Anfangs arbeitete er als Drogist, mit den Jahren spezialisierte er sich auf das Apothekerhandwerk. Die schwierige wirtschaftliche Situation in seiner Heimat, jung verheiratet und noch kinderlos bewogen ihn, 1925 auszuwandern. Ein befreundeter Apotheker, Carlos Albrecht, hatte ihm eine Arbeitsstelle in seiner Apotheke in La Paz angeboten. Dieser übernahm auch die Kosten für die Schiffsreise von Hamburg über den Panamakanal nach Arica, von wo aus es per Bahn nach La Paz weiterging. Meine Mutter, Lyssi Schilling, geboren in Hamburg 1906, gestorben in La Paz 1992, folgte unserem Vater zwei Jahre später.

Anfangsjahre in La Paz

Mein Vater fühlte sich von Anfang an wohl in seiner neuen Heimat. La Paz gefiel ihm. Der Tag seiner Ankunft war der 15.09.1925, genau einen Monat nach den Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Staatsgründung Boliviens. Vater lebte in einer kleinen Wohnung im Stadtteil Miraflores zur Untermiete und arbeitete im Zentrum in unmittelbarer Nähe der Plaza Murillo in der Apotheke „Carlos Albrecht“. Nur ein paar Meter weiter von der Straße, in der er wohnte, kaufte er im Jahre 1936 ein Terrain und baute für sich und seine Familie ein kleines Häuschen. Dies fiel zusammen mit meiner Geburt im Jahre 1936. Mein Bruder folgte am 27. Mai 1938.

Beginn der Selbstständigkeit

1938 verstarb das Ehepaar Albrecht und mein Vater entschloss sich, eine eigene Drogerie aufzubauen. Er nannte sie „Droguería Hamburgo“. In der Calle Socabaya unterhalb der Plaza Murillo. Meine

Mutter unterstützte ihn als Sekretärin beim Aufbau des Geschäftes. Die finanziellen Mittel erhielt er als Kredit von einer bolivianischen Bank, der Banco Nacional de Bolivia. Im selben Jahr gelang es Vater, von der Firma Merck, Darmstadt, die ersten Produkte zu importieren. Weitere Firmen wie Knoll, Nordmark und Bayer folgten, von denen er die Vertretung für Bolivien übernahm. Die Banco Nacional de Bolivia sollte ihn sein Leben lang begleiten und die Expansion des Unternehmens ermöglichen.

Schon zu dieser Zeit arbeitete ein weiterer deutschstämmiger Kollege aus Hamburg in der Firma mit Namen Heinz Abendroth. Er muss auch in der Zeit um 1932 nach Bolivien ausgewandert sein – wurde 96 Jahre alt und verstarb in Hamburg. Sein Sohn ist Bernd Abendroth. Mein Vater trennte sich irgendwann von Abendroth und überließ ihm die Vertretung einiger Produkte, so dass dieser eigenständig überleben konnte.

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In seiner neuen Firma hatte mein Vater einen loyalen, vertrauenswürdigen bolivianischen Mitarbeiter, Alfredo Rea Nogales, ebenfalls Apotheker. Er und ein Freund im Ministerio de Gobierno informierten ihn rechtzeitig und warnten vor den Implikationen der „schwarzen Liste“. So nahm im Jahre 1942 unsere Familie von heute auf morgen den Zug nach Buenos Aires, um einer Verhaftung zu entgehen. Die Firma Merck war auch in Argentinien vertreten. Mit einigen ihrer Vertreter verband mein Vater ein freundschaftliches Verhältnis, so dass unsere Familie dort aufgenommen wurde. Vater arbeitete eine Zeitlang bei Merck als Angestellter bis er sich selbstständig machte und Holzspielzeug, Bauern- und Puppenstuben, anfertigte, was in Buenos Aires guten Absatz fand. Diese handwerkliche Geschicklichkeit hatte er von seinen Vater erlernt. Er hatte eine große Gabe für feine Handwerksarbeiten.

In unserer Abwesenheit führte Vaters guter Freund, Rea Nogales, zusammen mit Heinz Abendroth die Firma weiter bis ins Jahr 1947. Abendroth hatte die deutsche Nationalität aufgegeben und sich bolivianisiert, so dass ihn das Arbeitsverbot der Alliierten nicht traf. Mein Vater hat diesen Schritt abgelehnt. Er hat immer vertreten: „Ich bin Deutscher und bleibe auch Deutscher!“

Geburtsstunde der Droguería INTI S. A.

Erst ein Jahr nach Kriegsende im Jahre 1946 durften wir endlich nach La Paz zurückkehren, allerdings unter der Auflage nicht arbeiten zu dürfen. Unsere Rückkehr am 21. Juli 1946 fiel genau auf den Tag der Revolution gegen Präsident Villarroel. Die konservativen Gegner von Villarroel hatten zunehmend an Einfluss gewonnen und die Gewerkschaften schöpften die Möglichkeiten ihrer neu gewonnenen Rechte voll aus. So kam es am 21.07.1946 zu einem großangelegten Aufstand, in dessen Verlauf der Regierungspalast gestürmt und General Villarroel ermordet wurde. Seine Leiche wurde von einem Balkon des Palastes geworfen und an einem Laternenpfahl gegenüber dem Palast

aufgehängt. Soweit zu den politischen Umständen in La Paz am Tag der langersehnten Rückkehr.

Trotzdem waren wir froh zurück in La Paz zu sein. Vater stieg als Gesellschafter wieder bei Nogales und Abendroth in das Geschäft ein. Er besaß die Mehrheit der Geschäftsanteile. Da zwei bolivianische Mitinhaber die Drogerie betrieben, durfte mein Vater eher als andere deutsche Unternehmer wieder in das wirtschaftliche Leben zurückkehren. Sein bolivianischer Partner, Rea Nogales, ein Mann aus dem Volke und indigenen Ursprungs hatte zudem die gute Idee, das Geschäft im Jahre 1947 in „Drogueria INTI S.A.“ um zu benennen, was soviel wie „Sonne“ auf Quechua und Aymara bedeutet – eine für die weitere Entwicklung der Firma sehr gute Entscheidung. Die juristische Körperschaft unter der Bezeichnung INTI S.A. ist bis heute unsere Firmenbezeichnung und kennzeichnet den Beginn des unternehmerischen Aufschwungs.

Leben in La Paz

Für meine Eltern stand das Familienleben stets im Mittelpunkt. Unser Familienleben war von deutschen Gewohnheiten geprägt. Es wurde zuhause nur deutsch gesprochen. Dies wurde bis zu den Enkelkindern beibehalten. Auch die Ess- und Tischgewohnheiten waren sehr deutsch. Mutter und Vater haben immer darauf geachtet, dass die Esssitten korrekt waren. Mein Vater hat von uns verlangt, pünktlich und zuverlässig zu sein. Seine beiden Söhne hat er auf die Deutsche Schule und danach zum Studium nach Deutschland geschickt. Beide haben nicht nur ein Apothekerstudium absolviert, sondern in diesem Fach auch promoviert. Er legte Wert auf eine gute Erziehung und ermöglichte sie uns. In seiner Freizeit hat er sich sehr um seinen Garten gekümmert. Er war kein Kaffeehaus– oder Clubmensch. Er liebte die Natur und hat sie uns Kindern näher gebracht.

Mein Vater nahm uns zudem immer mit in die Berge. Aus welchem Grund? Um das Land besser kennen zu lernen. Da sind wir zum Beispiel von La Paz aus

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Richtung Illimani bis in den Yungas gewandert, mein Vater zu Fuß, meine Mutter und wir Kinder auf Maultieren. Den Inkaweg „Yunga Cruz“ haben wir schon damals regelmäßig abgewandert. Mein Vater nutzte diese Reisen, um in kleinen Apotheken die Produkte der Firma Droguería INTI anzubieten und auf dem Lande zu verbreiten. Das hat er sehr gerne und regelmäßig gemacht. Auch in Santa Cruz, Cochabamba, Sucre, Potosi, Oruro, Tarija sind Vertreter der Droguería INTI für drei bis vier Monate durch die ländlichen Gebiete gereist und haben unsere Produkte vertrieben. Das war eine sehr gute Werbestrategie. Die Handelsvertreter der Firma Droguería INTI waren zu dieser Zeit zum größten Teil Deutschstämmige – viele von ihnen sind heute verstorben. Ihre Nachkommen leben nicht mehr in Bolivien. Auch ich als Nachfolger meines Vaters habe diese Reisetätigkeit später fortgesetzt, allerdings nicht mehr per Maultier, sondern per Jeep.

Mein Vater hat auf seinen Reisen auch viel gefilmt, die Natur, die Gebräuche, unsere Familie. Leider sind diese Dokumente verloren gegangen. In Bolivien haben wir auch unsere Ferien verbracht, in den Yungas oder am Titicacasee – mein Vater liebte Bolivien. Wenn er schon mal eine Reise ins Ausland unternahm, fuhren wir ans Meer nach Argentinien. Alle drei Jahre spendierten sich die Eltern eine Reise nach Deutschland, genauer gesagt nach Hamburg, um die Familie zu besuchen. Besonders meiner Mutter fehlte manchmal die Hamburger Seeluft. Wenn sie es ermöglichen konnten, blieben sie bis zu drei Monaten in der alten Heimat.

Das gesellschaftliche Leben meiner Eltern spielte sich in der deutschen Kolonie ab. Eine Zeitlang war mein Vater Vizepräsident des Deutschen Kulturvereins, CCA. Auch hat er bei Aufbau und Weiterentwicklung des Goetheinstituts eine tragende Rolle gespielt. Meine Eltern waren Mitglied der evangelischen lutherischen Gemeinde deutscher Sprache und haben uns Kinder auch in diesem Sinne christlich erzogen. Man kann sagen, dass meine Eltern immer die deutsche Kolonie unterstützten.

Aufbruch ins 21. Jahrhundert

1948 war der Beginn der Entwicklung von einer Drogerie, die hauptsächlich deutsche Produkte vertrieb, hin zu einer industriellen Produktion der Droguería INTI S. A. Mein Vater erwarb hinter unserem Haus Land, auf dem er die erste Produktionsanlage errichtete. Das ging relativ schnell von statten: Schon 1950 war das Laboratorium fertiggestellt und wurde mit Maschinen aus Argentinien bestückt. Wir hatten einen deutschstämmigen Apotheker, Heinz Throm aus Chile, der als Produktionsleiter eingestellt wurde. „Mentisan“ war eines der ersten Produkte, die er nach eigener Rezeptur entwickelte. Danach folgten Aspirin und andere einfache Mittel, die einen breiten Absatz fanden und Geld einbrachten. Darüber hinaus importierten wir Erzeugnisse aus Deutschland oder stellten sie unter Lizenz her. Auch Pharmaka der argentinisch-deutschen Firma Römers wurden hier in Lizenz hergestellt. Die Kontakte dazu hatte er schon vor dem II. Weltkrieg geknüpft, aber

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nach dem Krieg intensiviert. Somit konnte er die Produktion in seiner eigenen Firma in kurzer Zeit aufbauen. Dank dieser deutschen Firmen konnten wir Produktionsmaschinen für Pharmaprodukte erwerben, hier aufbauen und somit eine moderne, dem Fortschritt angepasste Industrie entwickeln. Mein Vater versuchte immer, mit der Zeit zu gehen. Er riskierte und gewann – Dank der Kredite seiner Hausbank gelang es uns als Familienbetrieb, die finanziellen Herausforderungen der Innovationen zu meistern. Er pflegte den Kontakt zur Hausbank sehr. Das halten wir bis zum heutigen Tage so.

Mein Vater hat bis zum letzten Tag in der Firma gearbeitet. Oftmals hörte man ihn sagen: „Ihr werdet mich eines Tages aus der Firma heraustragen müssen“. Und so ist es geschehen. Er erlag mit 84 Jahren, einen Monat vor seinem Geburtstag, einem nicht entdeckten Krebsleiden.

Mein Vater

Mein Vater war ein humorvoller Mensch. Seine witzigen und gescheiten Formulierungen trafen oftmals den Kern der Sache. Deutsche Tugenden waren ihm wichtig, besonders die Pünktlichkeit. Er hat sein Leben lang bis zu seinem Tode hart gearbeitet. Mit seiner Zeit ist er sehr effizient umgegangen. Ein Prinzip, das er sogar am Wochenende betonte: „Heute ist Wochenende, da reden wir nicht über das Geschäft. Am Montag könnt ihr wieder über die Arbeit reden.“ Strikt trennte er zwischen Freizeit und Arbeitszeit. Das konnte er perfekt. Liebevoll verhielt er sich gegenüber seiner Frau, uns Kindern und den Enkelkindern. Er war ein Familienmensch.

Mein Vater war zudem auch der „Vater“ seiner Angestellten. Wohlmeinend wurde er von ihnen „El Papa“ genannt. Lief bei seinen Angestellten mal was schief, so hat er geholfen und die Sache in irgendeiner Form wieder hingebogen. Sein größter Verdienst liegt wohl darin, dass er sehr früh erkannt hat, dass sich Bolivien nur durch den Aufbau einer Industrie weiterentwickeln

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kann. Die Pharmaindustrie, die durch meinen Vater aufgebaut wurde, ist heute mustergültig für andere Industriezweige. Droguería INTI S. A. hat es geschafft, sowohl für den Export wie für den nationalen Konsum zu produzieren und so einen wichtigen Beitrag zur Volksgesundheit zu leisten.

Das Interview mit Sohn Dr. Ernst Schilling wurde im

November 2014 in La Paz geführt.

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az7 GerhardGerhard Zimmermann

Geboren in Leer, Ostfriesland im Jahre 1886Gestorben in Luzern im Jahre 1966

Menno Smid ZimmermannGeboren in Hannover am 30.3.1900Gestorben in La Paz am 24.04.1954

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Eine Großfamilie zwischen Deutschland und Bolivien

Mein Großonkel wanderte im Jahre 1920 nach La Paz aus, da er von Simon Patiño ein Arbeitsangebot als Buchhalter in seinem Firmensitz in der bolivianischen Hauptstadt erhalten hatte. Die Freundschaft der beiden wurde durch das Geschenk einer goldenen Uhr besiegelt, die sich bis heute im Besitz meiner Familie befindet.

Das Uhrengeschenk von Simon I. Patiño

mit Widmung für meinen Großonkel

Die Freundschaft mit dem Zinnbaron Patiño war der Beginn einer bis heute andauernden Migrationsgeschichte, denn mein Großonkel Gerhard holte peu à peu weitere Familienmitglieder aus Deutschland nach Bolivien. Da über das Leben meines Großonkels nicht mehr so viele Erinnerungen überliefert sind, werde ich mich in meinen Erzählungen in erster Linie auf meinen Vater beziehen.

Mein Großonkel – die Gründergeneration

Das Startkapital erwarb sich mein Großonkel durch seine Arbeit als Buchhalter bei Patiño. Er hatte das Vertrauen des Zinnbarons gewonnen und wickelte bald auch die Verträge für Patiño vor allem auf Englisch ab. Da Patiño der englischen Sprache nicht mächtig war, mein Onkel sich aber mit Englisch recht gut auskannte, gehe ich davon aus, dass er schon in dieser Zeit zusätzliche Einkünfte erzielte und einige Ersparnisse bei Seite legte.

1925, also schon fünf Jahre nach seiner Ankunft als armer Schlucker in Bolivien, gründete Großonkel Gerhard eine Druckerei in La Paz mit dem Namen „Litografías y Imprentas Unidas S.A.“ Frühzeitig stieg er auch als Aktionär in die Brauerei „Cervecería Boliviana Nacional S.A., heute „La Paceña“, ein. Ein Teil seiner Aktien wurde an uns Neffen vererbt. Zeit

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Bierbrauerei in La Paz, Anteileigner Gerhard Zimmermann

seines Lebens in La Paz blieb Gerhard Junggeselle. Er zeugte zwei uneheliche Kinder, die den größten Teil der Aktien der Brauerei erbten. So lange sie minderjährig waren, wurden die Aktien von meinem Vater verwaltet. Diese Kinder erfuhren nie von der Vaterschaft, erbten die Aktien, kannten aber nicht ihre Herkunft.

Zu dieser Zeit lebte mein Großonkel schon in Chile, später dann in der Schweiz. Die Zeit des II. Weltkrieges verbrachte er in Chile. Dort gründete er eine Hemdenfabrik, die sich sehr gut entwickelte. Die Hemdenmarke „Norton“ – eine Referenz an seine alte Heimat Ostfriesland - war sehr bekannt in Chile. Als Geschäftsführer „importierte“ er den Bruder meines Vaters aus Deutschland, der die Firma über viele Jahre leitete und erst vor kurzen in Chile verstorben ist. Mit „Norton“ hat mein Großonkel auch noch einmal viel Geld verdient.

Eine der zahlreichen Patiño

Bergbauunternehmen

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Die Gründe warum er Chile verließ und in die Schweiz zog, sind mir nicht bekannt. Seine erste und einzige Ehe schloss er mit einer italienischen Gräfin in der Schweiz, die ihn um einige Finanzen erleichterte, was ihn als guten Buchhalter recht bekümmerte.

Die Druckerei in La Paz hat ausreichend Geld abgeworfen, um allen Kindern eine gute Ausbildung in Deutschland zu gewähren. Zudem hatte mein Großonkel im richtigen Moment Grundbesitz erworben und in der Avenida Ballivian, Ecke Colón ein sechsstöckiges Hochhaus errichtet, welches Mieteinnahmen generierte. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir Kinder dort hin geschickt wurden, um die Mieten zu kassieren.

Die zweite Generation wächst heran: Vater wandert nach Bolivien aus

Mein Vater, Menno Smid Zimmermann, erblickte als Kind einer siebenköpfigen Lehrerfamilie Smid Zimmermann in Hannover im Jahre 1900 das Licht

der Welt. Meine Großeltern stammten aus dem Norden Deutschlands: Die Smids kamen aus Leer und die Zimmermanns aus Hannover. In der Familie wählten die meisten Kinder den Beruf des Arztes, aber mein Vater entschied sich für ein Jurastudium. 1923 in der Zeit der großen Depression beendete er erfolgreich sein Studium in Hannover. Aber auch für einen gut ausgebildeten jungen Mann wie meinen Vater war es nach dem I. Weltkrieg schier aussichtslos, eine gut bezahlte Arbeit zu finden.

In Deutschland herrschte eine Hyperinflation, die Arbeitslosigkeit war hoch und so kam es meinem Vater sehr gelegen, dass unser Großonkel ihn nach La Paz rief. Der Großonkel finanzierte die Überfahrt und unterstützte ihn in den ersten Monaten nach seiner Ankunft.

Leben in La Paz

Als Junggeselle wohnte mein Vater in den ersten Jahren im „Rancho“, bekannt für das Zusammenleben einiger junger Leute, darunter vieler Einwanderer aus Deutschland. Er arbeitete als Geschäftsführer in der Druckerei meines Großonkels. Mein Vater heiratete erst 1933 eine frisch aus Hamburg eingereiste junge Frau, Lotte Evers, 1912 geboren. In La Paz holten die Vorfahren der Familien Delius und Harjes zu dieser Zeit junge Frauen aus Deutschland nach Bolivien. Man heiratete deutsch! Diese jungen Frauen zogen wiederum ihre Schwestern nach. Das war das Glück meines Vaters, der so meine Mutter kennen und lieben lernte. Meine Mutter entstammte einer typischen Hamburger Kaffeekaufmannsfamilie.

Ihre Ausbildung, eine Hauswirtschaftslehre, hatte sie jedoch in Schlesien auf einem Landgut erhalten. Menno und Lotte zeugten in den folgenden Jahren sechs Kinder und zogen sie in La Paz groß.

Wir besuchten alle die deutsche Schule und absolvierten hier das Abitur. Der Älteste studierte in Deutschland, kehrte nach Studienabschluss aber nach Bolivien zurück und unterstützte später meine Mutter in der Leitung der Druckerei. Nach dem Verkauf der Druckerei zog er nach Brasilien. Alle

Neue Gebäude in der

Innenstadt von LP

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mithelfen, sie zu erstellen. Also Bücher für die Buchhaltung waren ebenso unsere Spezialität. Des Weiteren erwarben wir uns im Buchdruck Lorbeeren. Damals gab es praktisch keine Konkurrenz. Letztere kam erst in den fünfziger Jahren auf. Diese Spezialisierung war unser Hauptgeschäft in den vierziger Jahren. Der normale Offset-Druckereibetrieb entwickelte sich erst viel später.

Ich war Spezialist für das Pressen. Damals war einer unserer Onkel, der Schiffsoffizier war, in Jamaika in englische Gefangenschaft geraten. Als Deutschland den Briten den Krieg erklärte, war er umgehend von seinem Schiff - er arbeitete für die Hapag Lloyd in Aruba - durch die Briten gefangengesetzt und in Jamaika interniert worden. Ich beherrschte so gut die Kunst des Pressens, dass ich eine ganze Schachtel Derby Zigaretten in einen Briefumschlag pressen konnte, so dass die Kontrollen des Gefängnisses die

Bolivianische

Briefmarke

stand daneben ein dicker Polizist, aus dessen Hosentasche ein Bündel Briefmarken hervorlugte - anscheinend Fehldrucke, die er beiseitegeschafft hatte. Meine Mutter flüsterte mir zu, ich solle mich von hinten an ihn heranschleichen, um diese Fehldrucke unbemerkt aus seiner Hosentasche zu ziehen. Dies gelang mir auch. Daran kann ich mich noch gut erinnern.

Ferner besaßen wir eine große Presse für die Buchhaltungsbücher. Damals wurden die Unterlagen der Buchhaltung erst gebunden und dann gepresst. Es waren richtige Bücher und wir Knirpse durften

meine Geschwister waren zeitweise in der Druckerei tätig. Ich bin der zweitgeborene und fuhr nach der Schulausbildung zur See für den Norddeutschen Lloyd in Bremen (heute Hapag-Lloyd).

Unsere Druckerei – von Banderolen und Briefmarken

Damals gab es schon die ersten Offsetdruckereien in Bolivien, wir aber spezialisierten uns auf den Druck von Briefmarken, Etiketten und Buchhaltungsbüchern. Lange Zeit druckten wir die Briefmarken für Bolivien wie auch die Etiketten für die deutsche Bierbrauerei. Für den Druck der Briefmarken wurde das Motiv auf Stein im Hochrelief gemeißelt. Die bolivianischen Briefmarken wurden in großer Stückzahl produziert. Das war unsere Spezialität. Papier und Maschinen wurden aus Deutschland importiert. Daran kann ich mich noch gut erinnern, da ich schon mit sieben Jahren im Betrieb mitgeholfen habe. Wir Kinder kontrollierten zum Beispiel, ob die Marken fehlerfrei gedruckt waren. Briefmarken mit Fehlern wurden im Beisein der Postbehörde verbrannt. Ich erinnere mich an einen Fehldruck, bei der die Tür des Eisenbahnwaggons nicht verschlossen war, heute eine Marke mit hohem Sammlerwert. Die Verbrennung fand in der Zentralbank statt, wo Fehldrucke von Briefmarken und Geldscheinen in einem speziellen Ofen verbrannt wurden. Einmal

Famile Arend Smid 1949 in La Paz

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Zigaretten nie entdeckten. Mein armer Onkel war so immer mit frischen Zigaretten aus Bolivien versorgt.

Die Druckerei in schweren Zeiten

Den II. Weltkrieg hat unsere Druckerei gut überstanden. Dies ist dem Umstand zu verdanken, dass mein Vater nicht auf der „Schwarzen Liste“ stand. Er hatte nämlich einem deutschen Lehrer während eines Tennisspiels gestanden, dass er nicht an den von den Nationalsozialisten propagierten Endsieg glaube. Der Lehrer benachrichtigte umgehend den Gauleiter in Buenos Aires, der extra wegen meinem Vater nach La Paz anreiste. Mein Vater musste eidesstattlich erklären, dass er doch wolle, dass Deutschland den Krieg gewinne. Dieser Vorfall führte bei Einführung der „Schwarzen Liste“ dazu, dass man ihn schonte.

Damals lief die Druckerei noch auf den Namen meines Onkels, der zu dieser Zeit schon in Chile lebte. So wurde die Firma nicht enteignet. Erst nach dem Krieg wurde die Druckerei auf meinen Vater überschrieben. Sie wurde als „Litografía e Imprintas Unidas S.A.“ auf meinen Vater übertragen. Er war der Haupteigentümer. Mein Vater starb 1954 und meine Mutter leitete die Firma weiter. Erst 1975 wurde die Druckerei verkauft, da meine Mutter wieder geheiratet hatte und zwar den Direktor der deutschen Schule, Günther Linder. Um seine Pension zu beziehen, war mein Stiefvater als deutscher Beamter gezwungen nach Deutschland zurückzukehren. Damals war es nur möglich, mit Sitz in Deutschland die Rente oder Pension zu beziehen. Da meine Mutter mit ihm zusammen leben wollte, war der Verkauf der Druckerei die Lösung. Damals ließ sich die Firma gut verkaufen. Sie hat noch viele Jahre unter einer Familie Otero weitergearbeitet.

Alltagsleben in La Paz

Wir wohnten zuerst in Sopocachi, ab 1948 in Obrajes, Calle 7. Da hatte mein Vater am Hang ein Grundstück erworben und ein großes Haus gebaut. Wir sechs Kinder hatten alle ein eigenes Zimmer. Wir konnten von unserem Haus auf die heutige deutsche Residenz runterschauen, die Villa der Familie Fricke Lemoine (s. Interview Ernst). Da mein Vater ein

Kassenbuch einer der Unternehmen

der Familie Elsner aus den Jahren 1942-1944

Deutsche Schule La Paz

Fotografie: Familie Elsner

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wohnte bei einer deutschstämmigen Familie. Der einzige der in dieser Zeit in Frutillar der deutschen Sprache nicht mächtig war, war der Polizist des Ortes. Dieser Kontakt nach Frutillar wurde durch den evangelischen Pastor Schünemann hergestellt, der in Frutillar tätig war und von dort aus auch unsere evangelische Gemeinde in La Paz betreute.

Das Gesellschaftsleben in La Paz

Meine Mutter war sehr aktiv in der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde und Gründungsmitglieder beim Kirchenbau. Auch im Deutschen Club und im Deutschen Kulturverein waren wir Mitglied. Hauptsächlich war meine Familie aber in der deutschen Kirchengemeinde aktiv. Ich war später sogar 22 Jahre im Kirchenvorstand und Präsident dieser Gemeinde. Über zwei Generationen hinweg waren wir Mitglied der deutsch-bolivianischen Handelskammer. Durch die Arbeit in der Brauerei und der Druckerei verbrachten wir aber auch viel Zeit mit Bolivianern, ich würde sagen, das hielt sich die Waage.

Alle Feierlichkeiten haben wir zuhause verbracht, hundert Prozent nach deutschen Gebräuchen und Sitten ausgerichtet. Es wurden deutsche Weihnachtslieder gesungen, deutsche Weihnachtskekse gebacken und deutsche Hausmusik gespielt. Mein Vater saß am Klavier und begleitete uns. Wir Kinder wurden angehalten, Musikinstrumente zu erlernen, z.B. Klavier und Cello. Die Musikinstrumente wurden importiert. Wir besuchten Konzerte, waren alle sehr musikalisch. Die klassische Musik, die in Bolivien gespielt wurde, war sehr von den Deutschen in La Paz beeinflusst. Ich war so fanatisch, dass ich mir sogar - als ich als Kapitän zur See fuhr - ein Pappklavier mitgenommen habe.

Mein Vater liebte den Sport, er spielte Tennis und war Mitglied im hiesigen Tennisclub in der Avenida Arce. Meine Mutter teilte nicht die Liebe zum Sport, aber umso mehr die Liebe zur Kunst, sie malte und stickte wunderschön.

guter Freund der Besitzer war, spielten wir oft in diesem wunderbaren Garten. Die beiden Männer verbrachten so manches Wochenende miteinander.

Bei uns zuhause wurde grundsätzlich nur deutsch gesprochen. In der Küche wurden auch bolivianische Gerichte zubereitet – heute würde man das „cuisín fusión“ nennen – deutsche und bolivianische Kochkunst wurde kombiniert. Die Alltagsgewohnheiten dagegen waren sehr deutsch. Man aß gemeinsam zu geregelten Tageszeiten und am Abend gab es eine Brotzeit. Am Sonntag kochte meine Mutter immer etwas Besonderes. Familienausflüge wurden in den Yungas nach Chulumani unternommen. Dort verbrachten wir auch unsere Ferien. Wir haben uns unser Ferienhaus im typisch deutschen Stil erbaut. Sogar die Möbel waren im bayrischen Stil aus Holz gezimmert.

Die Zeiten des II. Weltkrieges

Als ich 12 Jahre alt war, wurden wir nach Frutillar, Südchile, in die deutsche Schule geschickt, da es in La Paz verboten war, Deutsch zu unterrichten. Die deutsche Schule wurde geschlossen und mein Vater wollte nicht auf eine deutsche Erziehung für seine Kinder verzichten. Erst in den 50iger Jahren durfte wieder Deutsch in Bolivien unterrichtet werden. Dort war ich zwei Jahre in der Schule und

Zum Spielen gings in Nachbarsgarten

der Familie Ernst Fricke Lemoine

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Beziehungen zu Deutschland brechen nicht ab

Zeit unseres Lebens unterhielten wir enge Beziehungen zu Deutschland, da dort viele unserer Familienmitglieder lebten und leben. Einige kamen nach Bolivien auf Besuch oder blieben auch hier zum Leben. Zum Beispiel arbeitete ein Bruder meiner Mutter in Pulacayo in der Mine von Mauricio Hochschild, dem mächtigen deutschstämmigen Zinnbaron, neben Patiño und Aramayo, der Bergbauunternehmer, der die Geschichte der Zinngewinnung in Bolivien maßgeblich beeinflusste. Der Schwager meiner Mutter, ebenfalls nach Bolivien ausgewandert, eröffnete eine Hutfabrik mit Namen „Emusa“ und leitete sie mit Erfolg. Andere Familienmitglieder waren eng mit der Familie Harjes über die Schwester meiner Mutter verbunden, die bis heute in Bolivien leben und Handel treiben. Sie hatte fünf Schwestern und zwei Brüder. Auch ihre beiden Brüder lebten viele Jahre in Bolivien.

Selbst die Großmutter kam 1949 nach der Ausbombung in Hamburg für einige Jahre nach La Paz und verstarb in Bolivien. Sie liegt auf dem deutschen Friedhof in La Paz begraben. Andere Familienmitglieder kehrten nach Deutschland zurück, zwei Geschwister meiner Mutter, aber sie waren die Ausnahme. Auch aus meiner Generation sind zwei Geschwister nach Deutschland zurückgekehrt, wir anderen aber leben alle hier in unser neuen Heimat Bolivien.

Politisch und kulturell haben wir uns über Deutschland immer auf dem Laufenden gehalten. Einerseits waren meine Eltern oft in Deutschland zu Besuch, in der Regel alle zwei Jahre. Ich erinnere mich noch genau daran, als ich zusammen mit meiner Mutter, sie als Vertreterin der evangelisch-lutherischen Gemeinde deutscher Sprache, die gestiftete Orgel von Bischof Dietzelbinger in Ulm entgegen nahm. Später reiste mein Vater häufig wegen seiner Krebsbehandlung in die alte Heimat. Man war deutsch und blieb deutsch. Auch wurde die deutsche Staatsangehörigkeit nie aufgegeben.

Mein Vater, ein typischer Deutscher seiner Zeit in Bolivien

Die Deutschen waren hier in Bolivien gern gesehen. Sie genossen einen sehr guten Ruf. Der I. Weltkrieg hatte hier eine positive Resonanz hervorgerufen, wie die Deutschen sich verteidigten, die Strategien der Deutschen, das alles wurde bewundert. Einmal führte mich zum Beispiel eine Dienstreise für die Brauerei nach Santa Cruz. Am Eingang saß ein älterer Bolivianer, wie sich herausstellte Sohn eines Matrosen aus der Zeit des I. Weltkrieges. Er hatte zuhause noch eine Mütze der kaiserlichen deutschen Kriegsmarine. Er hat sie mir geschenkt. Leider passt sie mir nicht, die Matrosen müssen damals sehr kleine Köpfe gehabt haben.

Zudem waren die Deutschen für ihren Fleiß bekannt. Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, keine Überheblichkeit wie bei den Engländern; Das waren die Tugenden, die man bei den Deutschen in Bolivien bewunderte. Dieser Ruf hat ihnen sehr geholfen. Die Spanier wurden damals nicht so gerne in Bolivien gesehen. Klar, die Engländer haben hier auch viel zur Entwicklung beigetragen. Sie haben die Eisenbahnen gebaut. Aber ich glaube, dass die deutschen Tugenden die Hauptgründe sind, dass die Deutschen hier in Bolivien so gut ankamen.

Das Interview wurde am 11.12.2014

Arend Smid Evers in La Paz geführt.